Über die Charaktere

Ich bezeichne mich als Feministin. Ich weiß, von vielen wird das als Schimpfwort verwendet, und ganz viele Frauen wollen sich selbst nicht so nennen, obwohl sie es sind. Aber im Grunde bedeutet es nur, dass jemand für die Rechte von Frauen eintritt, für gleiche Chancen am Arbeitsmarkt, für gleiche Bezahlung, für das Recht am eigenen Körper. Wenn man diese Dinge unterstützt, dann, ja, dann ist man eine Feministin oder auch ein Feminist, denn Gott sei Dank gibt es viele Männer, die genauso denken.

Weil ich Feministin bin, war für mich von Anfang an klar, dass meine Frauen alle ihr eigenes Leben haben, dass sie ihren eigenen Weg finden müssen, dass sie nicht abhängig sind von den Männern in ihrem Leben, dass sie sich aber – und dieser Punkt liegt mir sehr am Herzen – auch dafür entscheiden können, wenn sie es wollen. Aber die Entscheidung muss bei ihnen liegen und ihnen nicht von einem Mann oder der Gesellschaft aufgezwungen werden.

Gleichzeitig sind daher meine Männer auch so, wie sie sind. Sie sind fürsorglich und gut, unterstützen ihre Frauen, gehen aber auch ihren eigenen Weg. Niemand unterdrückt niemanden. Heile Welt.

Natürlich habe ich schon die Kritik gehört, dass etwa Thea sich zu viel gefallen lässt. Aber ist das nicht auch an jedem zu entscheiden? Haben wir nicht alle eine unterschiedliche Toleranz? Haben wir nicht alle das Recht unsere eigenen Linien zu ziehen?

Schlimm finde ich, wenn wir alle über einen Kamm kehren. Was für mich okay sein kann, kann für dich die schlimmste Sache der Welt sein. Was für mich schlimm ist, kann dir nur ein müdes Lächeln entlocken. Aber wenn wir alle so anders sind, Dinge so vollkommen unterschiedlich begreifen, warum muss es dann ein Leben One Size fits All geben? Wieso können wir nicht alle mehr Mitgefühl füreinander aufbringen?

Ich habe mich mit Kolleginnen darüber unterhalten, was sie für Reaktionen auf ihre vielfältigen Charaktere bekommen haben. Leider ist der Tenor immer derselbe: Eine Frau ist eine Schlampe, wenn sie Pornostar ist. Ein Mann kann Pornostar, Stripper oder Callboy sein und die Leserinnen lieben ihn. Eine Frau ist ekelig, wenn sie versehrt ist. Ein Mann kann Narben im Gesicht haben, Amputationen etc. und trotzdem liegen ihm die Leserinnen zu Füßen. Eine Frau wird schnell als Bitch abgestempelt, wenn sie den Ton angibt, aber welche Leserin liebt keinen dominanten Mann? Mit einer schwarzen Frau kann man sich nicht identifizieren, aber über einen schwarzen Mann wird gerne fantasiert.

Ich finde das bedauerlich, und für mich zeigt das nur, dass wir als Autorinnen uns noch mehr anstrengen müssen. Wir müssen Charaktere erschaffen, die nicht dem Ideal entsprechen, um dieses Ideal vielleicht ins Wanken zu bringen. Statt die fünftausendste junge, weiße Frau zu erschaffen, warum nicht eine alte Frau? Warum nicht eine Women of Color? Warum nicht eine Frau mit Narben im Gesicht? Warum keine bisexuelle Frau? Die Liste lässt sich ewig weiterführen und dass ich sie hier beende, heißt nicht, dass ich alle anderen Möglichkeiten ausschließe.

Wir haben nichts zu verlieren, außer unseren eigenen, manchmal bigotten Ansichten.

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6 Kommentare

  1. Da hast du mir richtig aus dem Herzen gesprochen!

    Ich kann es mir als Kinderkrankenschwester auch nicht aussuchen, wie meine Patientinnen und Patienten aussehen, welchen sozialen oder ethnischen Hintergrund sie haben… Meine einzige Herausforderung ist es, ihnen die bestmögliche Pflege und Versorgung angedeihen zu lassen!
    Und oft sind doch die Menschen aus sog. einfachen Verhältnissen diejenigen, die etwas am Meisten zu schätzen wissen.

    Wie du vor ein paar Tagen so schön geschrieben hast, liebe Annie: Leben und leben lassen!

    Und mit diesem Hintergrund lese ich auch meine Bücher! Da bin ich auch für fast alles offen. Und wenn ich mich dann halt mal nicht mit einem Protagonisten identifizieren kann, dann ist das halt so. Deshalb muss das Buch ja noch lange nicht schlecht sein. Im Gegenteil! Vielleicht bekomme ich ja einen Denkanstoß oder ändere womöglich meine Einstellung…!
    Liebe Grüße und ein wunderschönes Wochenende! <3

  2. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Du sprichst genau das aus, was ich so manches Mal denke. Und es macht mich nachdenklich, denn auch ich ertappe mich häufig dabei über andere zu urteilen und dann bei anderer Gelegenheit zu sagen, ist doch egal, solange sie damit zufrieden sind.
    Und ja, auch ich finde manches Mal, dass Thea sich zu viel gefallen lässt, habe aber schnell gemerkt, dass sie glücklich damit ist, wie es ist.
    Egal wie man es dreht oder wendet, man kommt immer zu dem Schluss: Leben und leben lassen. 😊 Danke für deine Gedanken.
    LG Katja

  3. Danke Annie. Vorurteile gibt es leider immer und wird es auch immer geben. Wir müssen versuchen hinter der Fassade zu schauen und uns nicht von Äußerlichkeiten blenden zu lassen
    Ich finde es immer schön von Charakteren zu lesen, die nicht Modelmaße haben und wunderschön sind. Ein kleiner Bauch, Brille, HautProbleme ect. z.b. gibt es öfter als man denkt, daher sollten auch die Protas so aussehen und wir würden uns trotzdem in sie verlieben
    Deine Frauen sind auch nie perfekt, das liebe ich sehr an deinen Charaktere, denn in vielen finde ich mich wieder, also mach weiter wie bisher

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