Bonusszene Be the One

Jessica

Mein erster Winter in Alaska und wenn ich gedacht habe, dass ich überleben könnte, dann werde ich jetzt eines Besseren belehrt. Es ist verdammt kalt. Selbst Grayson hackt nicht mehr mit freiem Oberkörper Holz, sondern zieht sich was an. So kalt ist es. Es ist natürlich eine Schande – das finde nicht nur ich, sondern auch One-Eye-Molly. Allerdings habe ich den Vorteil, dass er sich in unserem Schlafzimmer immer noch auszieht. Win für mich.

»Alles okay?«, frage ich ihn, als er im Schneeanzug in die Küche kommt, den Schlüssel für die Schneemaschine vom Haken nimmt. Ha, endlich habe ich mich daran gewöhnt, es nicht mehr Schneemobil zu nennen!

»Es ist so scheißkalt. Wir machen uns Sorgen um die Pferde.«

Ich stehe vom Küchentisch auf, an dem ich gerade eine schöne Tasse heißen Kakao genossen habe. »Und jetzt?«

»Jetzt bringen wir ihnen Heu.«

»Wer ist wir?«, frage ich, bevor ich in den Flur gehe und meinen eigenen Schneeanzug anziehe.

»Nash und ich.«

»Ich komm mit.«

»Das musst du nicht.« Er lächelt mich an.

»Das weiß ich, aber sie liegen mir am Herzen. Irgendwie sind sie doch ein Symbol unserer Beziehung.« Ich steige in meine Winterstiefel.

»Aber jammer nicht, dass dir die Nippel abfrieren.«

»Das mach ich, wie ich will.«

Mit Mütze, Schal und Handschuhen ausstaffiert, trete ich in den subarktischen Winter, der mir seinen Ärger ins Gesicht bläst. Hätte Grayson seine Hand nicht in meinen Rücken gelegt, um mich zu stabilisieren, wäre ich rückwärts zurück in den Flur getaumelt. Und ganz ehrlich: Das wäre auch besser gewesen. Denn bei Minus zwanzig Grad sollte niemand draußen sein.

»Du musst nicht mitkommen«, erklärt Grayson noch einmal.

»Doch, muss ich.«

»Alles klar, aber dann wasche ich meine Hände in Unschuld.« Er grinst mich an.

»Dass du das Wort aussprechen kannst, ohne direkt in Rauch aufzugehen, wundert mich«, murmele ich vor mich hin.

»Was?«

»Nichts, nichts.«

Ich folge ihm zu der Schneemaschine, die er schon aus der Garage geholt haben muss. Auf der Straße steht auch schon Nash. Er hat einen Anhänger voller Heu an seiner Maschine dran. Auch er ist eingepackt, wie … na ja, wie jemand, der bei Minus zwanzig Grad draußen ist.

Vielleicht hätte ich mir das noch mal überlegen sollen …

Aber dann steige ich hinter Grayson auf, schlinge meine Hände um ihn und presse dem Helm gegen seinen Rücken.

So erfriert mein Gesicht nicht auf dem Weg zu der alten Ranch. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass die ehemaligen Besitzer die Pferde zurückgelassen haben, als sie die Ranch aufgegeben haben. Wer macht denn so was?

Ich sollte Grandpa Paul mal fragen, wer das war, damit ich ihnen einen gepfefferten Brief schreiben kann. Die können sich auf was gefasst machen.

Grundsätzlich sind Wildpferde auch was Großartiges, in den Lower-48 gibt es auch immer noch Mustangs, die wild oder zumindest halbwild umherstreifen, aber sie sind nicht heimisch in Alaska. Grayson hatte mal erwähnt, dass Pferde Minus fünfzehn Grad okay finden, aber das Problem ist ja, dass sie bei dem gefrorenen Boden nicht mehr genug Futter finden. Und das, wo es sowieso schon schwierig ist, weil Alaska nicht unbedingt als Grasland bekannt ist.

Als wir an der alten Ranch ankommen, bin ich schon ein Eis am Stiel. Anders kann man es nicht sagen. In Seattle ist es auch nicht tropisch, aber es passiert nur äußerst selten, dass die Temperaturen mal unter Null sinken.

»Wo sind sie?«, frage ich.

Grayson sieht zu Nash. »Sollen wir das Gelände abfahren und nach ihnen suchen oder überall ein bisschen hinlegen?«

»Es wäre besser, wenn wir sie finden, oder?«

Grayson nickt, bevor er den Motor wieder anwirft, und eine Spur im Schnee zieht. Die Ranch war riesig, aber die Pferde sind natürlich nicht an dieses Gebiet gebunden. Vielleicht sind sie auch woanders?

Aber dann finden wir sie.

Sie stehen in einer Art Schlucht, die windgeschützt ist, aber trotzdem sehen sie aus, als wäre ihnen echt kalt. Vielleicht hätten wir auch ein paar Decken mitbringen sollen? Keine Ahnung.

Grayson und Nash stoppen mit genügend Abstand, bevor sie sich jeweils einen Ballen schnappen. Als ich es ihnen nachtun will, wird mir erst bewusst, wie schwer so ein Ding wirklich ist.

Grayson grinst mich an, aber ich werde natürlich nicht aufgeben. Wo kommen wir denn dahin?

Außerdem hat es auch was Gutes: Mir ist nicht mehr so kalt.

Langsam nähern wir uns der Herde. Die Campbell-Jungs elegant und lautlos. Ich aus dem letzten Loch schnaufend.

Die Leitstute – eine wirklich schöne Buckskin-Lady – wackelt nervös mit den Ohren. Wir treiben sie in der Schlucht ein wenig in die Enge, was ihr offensichtlich missfällt, daher gehen wir nur so weit, wie die Herde es auch zulässt, bevor wir die Ballen hinlegen. Grayson zückt sein Messer, schneidet die Bänder durch. Ich schüttele es auf, bevor wir uns langsam rückwärts bewegen.

An den Schneemaschinen bleiben wir stehen.

»Sie sind viel dünner als im Sommer«, bemerke ich.

»War Zeit, dass wir rausgekommen sind«, meint Nash. »Hoffentlich überstehen sie den Winter.«

»Sie haben doch schon Jahre überlebt«, werfe ich hoffnungsvoll ein.

»Dieser Winter ist härter«, meint Grayson, legt seinen Arm um meine Schulter, zieht mich an sich.

Ich bin dankbar für die Extrawärme, während ich die Daumen drücke, dass die Leitstute uns nicht für eine Gefahr hält. Aber da brauche ich mir keine Sorgen machen, denn kaum sind wir weit genug entfernt, treten die Pferde zum Heuberg und stecken ihre Nasen hinein. Selbst hier hinten kann ich sie noch zufrieden brummeln hören.

»Brauchen sie Decken?«, frage ich.

Nash zuckt mit den Schultern. »Ich wüsste nicht, wie wir sie eindecken könnten. Aber ich will versuchen, etwas näher an sie heranzukommen, um sie mir genauer anzusehen. Um sicherzugehen, dass es ihnen allen gut geht, auch wenn sie unterernährt sind.«

»Haben wir denn genug Heu, um sie den Winter über zu versorgen?«, frage ich.

Grayson nickt. »Lincoln kann ja immer wieder Neues besorgen.«

»Puh, gut. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«

»Aber wir werden wohl mindestens alle paar Tage diesen Tripp machen müssen«, gibt Nash zu bedenken.

»Ist das nicht schon Familientradition?«, frage ich, weil ich mich erinnere, dass Grayson mir erzählt hat, dass seine Eltern das schon getan haben.

»So ist es«, erklärt Nash zufrieden, bevor er seitlich am Rand der Schlucht entlanggeht, um sich die Pferde aus der Nähe anzusehen.

Grayson lädt das restliche Heu ab, und als Nash zurückkommt, bringen wir es näher zu ihnen. Er konnte nichts feststellen, aber die wilden Pferde haben ihn natürlich auch nicht so nah rangelassen. Aber zumindest waren keine offensichtlichen Verletzungen zu sehen, was mich schon mal beruhigt. Wäre es anders, hätte ich darauf bestanden, hier zu kampieren, um ihnen im Notfall helfen zu können.

Aber auch so fällt es mir schwer, sie allein zu lassen. Was, wenn sie erfrieren?

»Wir kommen alle paar Tage wieder«, meint Grayson, während er darauf wartet, dass ich hinter ihm aufsteige.

»Jeden Tag«, entgegne ich.

»Jeden Tag«, stimmt er zu.

Ich schlinge meine Arme um ihn. »Wird es ihnen gut gehen?«

»Klar. Wenn wir sie füttern, dann werden sie auch diesen Winter überstehen.«

»Aber dieser Winter ist besonders streng, sagst du.«

»Stimmt, deswegen brauchen sie unsere Hilfe ganz besonders.«

Ich seufze. »Fein, dann bin ich wohl eine Glucke.«

Ich höre ihn leise lachen, was mir die Wärme durch den Körper treibt. Es gibt kaum ein Geräusch, das ich so sehr liebe, wie dieses. Vielleicht kann ich Alaska doch überleben, schließlich habe ich es im Herzen.

Ich stelle mich vor den Kamin, in dem ein heißes Feuer tobt, halte meine Finger so nah dran, wie es nur möglich ist.

So ein Ausflug in die Kälte ist ganz sicher nichts, was ich allen empfehlen würde. Aber Grayson ist noch mal los. Eigentlich hätte ich mitfahren sollen, aber ich habe so gezittert als wir wieder zu Hause waren, dass er ein Machtwort gesprochen hat.

Dabei ist er unterwegs, um nach Abe und Maggie zu schauen. Nachdem Dad sich für mich eingesetzt hat, sind die Moores nicht so gut auf ihn zu sprechen. Daher hat Grayson beschlossen, hin und wieder vorbeizuschauen, ob alles in Ordnung ist.

Um Hilfe würden die sturen Leute nämlich niemals bitten …

Als ich wieder halbwegs aufgewärmt bin, gehe ich in die Küche, um zu kochen. Ein Eintopf ist bei den Temperaturen bestimmt genau das Richtige, um ihn wieder aufzuwärmen.

Als ich ihn gerade abschmecke, höre ich die Tür aufgehen. Ich lächele bei dem Gedanken an Grayson.

»Das ist wirklich nicht nötig«, brummt da jemand.

Das hört sich doch an wie …

Ich eile in den Flur, sehen meinen Dad und Maggie mit Taschen dort stehen.

»Doch, das ist nötig«, erklärt Grayson.

»Hey«, rufe ich freudig aus, umarme sie. »Alles okay?«

»Es war alles okay, bis dieser … dieser Campbell in unser Haus marschiert ist und uns befohlen hat, es zu verlassen«, murrt Dad.

Maggie schüttelt den Kopf. »Du alter Sturkopf.«

Dad hat sich aus der Fehde zwischen Moores und Campbells weitgehend herausgehalten, aber es ist ganz eindeutig, dass er das momentan nicht tun will.

»Dad?«, frage ich.

Er seufzt. »Unsere Heizung ist ausgefallen, aber das ist noch lange kein Grund, dass dieser Grobian uns aus unserem Haus zerrt.«

Grayson grinst mich an, sieht ziemlich zufrieden mit sich aus, und wenn ich ehrlich bin, bin ich es auch.

»Danke«, sage ich ihm, wozu er nickt.

Dad verdreht die Augen. »War ja klar, dass du auf seiner Seite bist.«

Maggie befreit sich von ihrem Schneeanzug. »Jeder ist auf seiner Seite.«

»Wir hatten genug Brennholz.«

»Aber wir sind alt, Abe. Unsere alten Knochen brauchen mehr Wärme.«

»Wen nennst du hier alt?«

Ich lege meinen Arm um seine Schulter. »Ist es denn wirklich so schlimm, bei deiner Tochter zu sein?«

Sein Gesicht wird weich. »Natürlich nicht.«

Maggie grinst. »Gut gemacht.«

»Das Essen ist übrigens gleich fertig. Geht schon mal in die Küche.«

Grayson schnappt sich ihr Gepäck, bringt es ins Gästezimmer. Ich folge ihm, bleibe an der Tür stehen, und als er hinaustreten will, schlinge ich meine Arme um ihn.

»Danke.«

Er zieht mich an sich. »Es hat natürlich auch seine Nachteile.«

»Welche denn?«

»Nun ja, du bist ziemlich laut …«

Empört blicke ich ihn an. »Das hast du dir doch wohl selbst zuzuschreiben.«

»Weil ich so ein guter Liebhaber bin?«, neckt er mich.

Ich verdrehe die Augen. »Du bist unmöglich.«

Er drückt seine Lippen auf meine.

»Und verrückt«, murmele ich.

»Verrückt nach dir.«

Und wie kann ich da weiter diskutieren? Ich bin auch verrückt nach ihm. Voll und ganz. Wie sich das für eine Bewohnerin Alaskas gehört …