Bonusszene Damals war es er
Frankie
Ich stehe auf unserer Veranda, habe eine Tasse Kaffee in der Hand. Es ist schon ein bisschen kühl geworden, die Blätter fangen langsam an, ihre Farbe zu ändern.
Starke Arme schlingen sich um mich, und ich lehne mich lächelnd zurück. »Zweifel?«, fragt Graham leise. »Noch kannst du Nein sagen.«
Ich lache auf. »Sie sind schon auf dem Weg, nur noch ein paar Stunden entfernt. Wenn es einen Moment zum Nein sagen gab, dann ist er schon lange überschritten.«
»Ich würde es tun. Für dich würde ich es tun.«
Ich drehe mich um, schlinge einen Arm um seinen Hals. »Du würdest deiner Familie, die ihr ganzes Leben zusammengepackt hat, sagen, dass sie wieder umkehren sollen?«
»Auf jeden Fall.«
»Sie würden nie wieder ein Wort mit uns reden.«
»So sehr liebe ich dich.«
Ich lächele ihn an, stelle mich auf die Zehenspitzen, drücke einen Kuss auf seine Lippen. »Wie gut, dass ich sie auch liebe.«
Es ist ein Jahr her, seit diese verrückte Idee aufkam. Dass Grahams Dad seinen Baumarkt in Bakersfield nicht nur verkaufen würde, sondern sie dann nach Sweetwater ziehen würden. Ebenso wie sein Bruder Craig samt Partnerin Kayla und Tochter Maddie.
Ich hätte nie gedacht, dass das eine Option ist, aber seit wir angefangen haben, darüber nachzudenken, hat mir dir Idee immer besser und besser gefallen.
Damals, was sich anfühlt, als wäre es ein ganz anderes Leben, haben mir die Reeds nicht so nah gestanden wie Sawyers Familie. Aber Mrs. M … na ja, sie hatte so eine Art, jemanden Willkommen zu heißen. Sie ist die offensichtliche Wahl, die zu der man sich sofort hingezogen fühlt. Aber es hat auch etwas … ich will nicht sagen, etwas oberflächliches, aber es stimmt schon. Graham und ich mussten beide lernen, dass sie nur so freundlich ist, so lange man sich an ihre Regeln hält.
Das ist keine Liebe.
Aber die Reeds … Sie sind diejenigen, die übersehen werden. Aber sie sind die, die immer für einen da sind. Immer, ohne wenn und aber. Auch, wenn man Sachen tut, die sie nicht gutheißen. Wie ihren Sohn quer durchs halbe Land zu zerren. Wobei ich denke, dass sie froh sind, dass wir schlussendlich doch zueinander gefunden haben.
Ihre Liebe ist so stark, dass sie sogar bereit sind, ihr Leben auf den Kopf zu stellen. Für Graham. Für mich.
In den letzten Jahren, die ich sie intensiver kennengelernt habe, in denen ich nicht vom Glitzer einer Mrs. M abgelenkt war, habe ich festgestellt, dass in ihrer ganzen Art eine Authentizität liegt, die ich immer mehr und mehr zu schätzen weiß. Als Kind war es vielleicht kein Wunder, dass ich auf den Schein reingefallen bin – und es war auch nicht alles schlecht –, aber als Erwachsene wäre es doch besser, manchmal genauer hinzusehen, damit man nicht die wahren Schätze verpasst.
»Ich schätze, Craig kommt nur, weil er einen Babysitter haben will. Noch einen.« Graham grinst mich an.
Lachend sage ich: »Kann sein, dass ich uns dafür schon freiwillig gemeldet hab.«
»Nicht dein Ernst!« Er drückt seine Lippen auf meine. »Sie haben gerade geschrieben, dass sie in einer Stunde da sind. Sollen wir rübergehen?«
Ich nicke. Craig und Kayla ziehen in dieselbe Gegend wie wir, wo auch schon Stella und Emory wohnen. Aber seine Eltern haben sich ein Häuschen ein bisschen weiter außerhalb gekauft. Seine Mom hat beschlossen, ihren lebenslangen Traum von selbstangebautem Gemüse zu verwirklichen. Und da sein Vater jetzt in Rente ist, hat sie jemanden, der ihr beim Umgraben hilft. So zumindest ihre Theorie. »Wann müssen wir deine Eltern vom Flughafen abholen?«
»Um sechs.«
»Soll ich das machen? Oder wie ist der Plan?«
»Das wäre großartig.«
Hand in Hand schlendern wir die Straße entlang, das Gurgeln des Bachs unser Soundtrack. »Sobald Craig da ist, würde ich zum Haus meiner Eltern fahren, und die Möbelpacker dort einweisen.«
»Okay, und ich bleib dann hier?«
Ich gehe die Stufen zur Haustür hinauf, warte darauf, dass Graham die Tür aufschließt.
»Genau. Die Gang wollte auch zum Helfen kommen.« Die Gang … Ich liebe, dass Graham mittlerweile ein Teil von Sweetwater geworden ist. Dass nicht nur meine Freundinnen ihn mögen, sondern dass er auch selbst Freundschaften mit Theo und Derek geschlossen hat. Er wird Sawyer wahrscheinlich immer vermissen, aber vielleicht hilft es ihm über seinen Kummer hinweg, dass er andere Jungs gefunden hat, die er leiden kann.
»Craig hätte es doch auch wie deine Eltern machen können. Ich mein, was gibt es Besseres, als keine Last mit dem Umzug zu haben?« Und da spreche ich aus Erfahrung. Obwohl der Wechsel in unser Haus nicht so anstrengend war – weil ich vorher nur eine kleine Wohnung hatte und Graham nur einen Truckladung mit nach Texas genommen hat –, war es doch viel Arbeit. Ohne unsere Freunde hätte ich das nie geschafft, da bin ich mir sicher.
Vielleicht finde ich deswegen die Lösung seiner Eltern so großartig.
»Du kennst doch Craig. Er muss immer den harten Weg gehen. Außerdem ist er geizig.«
Lachend schaue ich mich in dem Haus um. Es hat einen ähnlichen Schnitt zu unserem, ist aber ein wenig größer.
Als es draußen hupt, eilen wir nach vorne. »Hallo!«, rufe ich, bevor ich die Stufen hinabhüpfe, um Kayla und Craig zu umarmen. »Wo ist Maddie?«, frage ich enttäuscht. »Habt ihr sie in Kalifornien gelassen?«
Craig grinst, bevor er seinem Bruder auf den Rücken schlägt. »Waren kurz davor, aber dann haben wir gedacht, dass es stressfreier für sie ist, wenn sie mit den Großeltern fliegt. Hier wäre sie doch sowieso nur im Weg.«
»Oh, dann muss ich dran denken, einen Kindersitz mit zum Flughafen zu nehmen«, sage ich.
Kayla zeigt auf den riesigen Truck. »Irgendwo da drin ist einer.«
Lachend nicke ich, klatsche in die Hände. »Dann los. Ashton bringt uns nachher Sandwiches und Muffins vorbei.« Ich war traurig als Colin aufs College gegangen ist, aber sein Bruder Ashton ist ein sehr guter Ersatz. Allerdings geht er nach diesem Jahr ebenfalls aufs College. Aber Kayla hat angedeutet, dass sie sich vorstellen könnte, im Café zu arbeiten.
Mal sehen, wie das funktioniert. So sehr ich meine Quasi-Schwägerin auch mag, weiß ich nicht, ob ich ihr was entgegenzusetzen hab, wenn sie die Zügel an sich reißt. Ich habe doch eher einen relaxten Führungsstil. Kayla will die Dinge gern erledigt haben. Vielleicht ist das wie Feuer und Wasser. Aber mal sehen. Noch ist nichts entschieden.
»Hey, Leute!«, ruft Stella, als sie mit Theo und Derek im Schlepptau die Straße entlangkommt.
Ich umarme sie, bevor ich sie vorstelle.
»Wir kennen uns doch schon«, meint Kayla grinsend, bevor sie Stella ebenfalls umarmt.
Emory und Cole kommen kurz darauf, und dann taucht Callie mit drei Typen auf. Wahrscheinlich noch ein paar ihrer Cousins. Ehrlich: Wie groß ist diese Familie?
***
Es ist anstrengend, aber es macht irgendwie auch Spaß, weil die Gang da ist. Craig und Kayla machen den Eindruck, als würden sie sehr gut hineinpassen. Und haben sich gleich die Dienste von noch ein paar Babysittern gesichert.
Mit so viel Hilfe braucht es nicht lang, bis wir den Truck ausgeladen haben. Das Einräumen … nun, das ist eine ganz andere Geschichte. Da werden sie noch eine Weile mit zu tun haben, denke ich.
Nachdem ich die Reeds und Maddie vom Flughafen abgeholt habe, fahre ich sie zu ihrem Cottage mit dem großen Garten. Und als wir zur Tür hineingehen, traue ich meinen Augen nicht. Es ist alles fertig, und Graham sitzt auf der Couch.
Maddie wirft sich in seine Arme, bevor er seine Eltern begrüßt.
»Ihr seid so smart«, sage ich. »Beim nächsten Umzug lass ich das auch ein Unternehmen machen.«
Margaret grinst. »Es war auch so stressfrei.«
Graham blickt zu mir. »Dann fahren wir mal zurück ins Chaos.« Er blickt zu Maddie. »Bereit für dein neues Zuhause?«
»Jaaa!«, ruft sie und springt auf und ab. »Wann kann ich zu den Pferden?«
Eines der besten Argumente, sie vom Umzug zu überzeugen, war, dass sie auf Lokis Ranch reiten lernen kann.
»Vielleicht morgen oder übermorgen. Jetzt schlafen sie gleich«, meint Graham.
Margaret nimmt mich in den Arm. »Wollt ihr dann morgen zum Essen vorbeikommen?«
»Sehr gerne.«
Wir setzen Maddie zu Hause ab, aber Craig und Kayla haben beschlossen, dass sie für heute fertig sind, weswegen wir auch Feierabend machen.
Zuhause angekommen, macht Graham eine Flasche Wein auf – die wir von Emory bekommen haben, von wem auch sonst? –, während ich ein paar Spagehtti koche. Dazu mache ich eine Puttanesca, die Graham sehr liebt.
»Bist du glücklich?«, frage ich ihn, als er zum Probieren kommt.
»So was von. Ist es komisch, dass es mich so freut, dass meine Familie jetzt wieder in meiner Nähe ist? In unserer?«
»Das macht dich eben zu einem Muttersöhnchen.«
Er lacht auf, bevor er mich umschlingt und hochhebt. »Frechdachs.«
Lachend bitte ich um Gnade.
»Aber nur, weil ich Hunger hab.«
Zum Essen setzen wir uns nach draußen. Morgens ist es schon kühl, aber im Laufe des Tages heizt es auf, sodass man abends noch auf der Terrasse sitzen kann. Ich liebe Texas.
»Meinst du, sie werden hier auch glücklich?«, frage ich ihn, trinke dann einen Schluck von diesem wunderbaren Wein.
»Ganz sicher. Craig würde es sich auch in einem Hurricane gemütlich machen, meine Eltern werden ihren Ruhestand genießen, und ich denke, dass Kayla sich freut, dass sie hier noch niemand kennt, und sie einen Neuanfang wagen kann.«
Ich lache auf. »Sie ist so nett!«
»Ist sie auch, wenn auch ein wenig tyrannisch.«
Ich zucke mit den Schultern. »Okay, aber auf charmante Weise.«
»Hast du sie in den Buchclub eingeladen?«
»Noch nicht.«
Er grinst. »Hast du Angst davor, dass sie sich als Despotin aufspielt?«
Ich reibe mir die Nase. »Vielleicht.«
Zufrieden sieht er mich an. »Aber mich ausschimpfen.«
Ich kneife die Augen zusammen. »Das war kein Schimpfen. Da hast du mein italienisches Temperament noch nicht erlebt.«
»Es ist nur noch dein Nachname«, zieht er mich auf. »Deine rotblonden Haare sprechen eine andere Sprache.«
»Aber das Feuer … das bleibt.«
»Ist das so?«
»Ist so.«
Er steht auf, kommt um den Tisch, bevor er meinen Stuhl zurückzieht, und mich hochhebt. »Dann zeig mir das mal oben.«
Lachend schlinge ich meine Arme um seinen Hals. »Aber wenn du dich verbrennst, fang nicht an zu heulen.«
»Deal.«
Und dann … dann küsst er mich, als wäre ich sein ganzes Leben. Und er ist meins.