Bonusszene Millie & Tucker

Tucker

Ich trete auf die Bremse, stoppe vor dem Flughafengebäude. Im Halteverbot. Aber da ich sowieso schon spät dran bin, kann ich darauf keine Rücksicht nehmen. Hoffentlich sind sie aus Protest nicht einfach wieder zurückgeflogen. Das wäre übel.

Ich steige aus, trete in die Halle, schaue mich um. Da stehen sie. Tante Desi, Onkel Alan, Daniel und seine Frau Lizzie, Mika und Ava.

Mein Herz klopft aufgeregt, was eigentlich total albern ist, schließlich ist das hier meine Familie. Ich kenne sie mein ganzes Leben.

Aber es ist jetzt anders. Und das ist es, weil ich nach Alaska gezogen bin. Sie nehmen es mir übel. Zumindest ein bisschen. Als Millie und ich uns dann noch dafür entschieden haben, unsere eigene Agentur für Abenteuerreisen aufzumachen, statt Teil der meines Onkels zu werden, herrschte ein wenig Eiszeit. Eine kurze, eine nicht ganz so schlimme. Sid und Manny sind nicht aufgetaucht …

Auch wenn sich die Gemüter wieder beruhigt haben, ist es doch immer noch ein wenig angespannt. Ich weiß, dass meine Tante und mein Onkel nur mein bestes wollen. Dass sie mich vermissen. Und dass das so ein wenig ihre Urteilskraft trübt.

Aber ich bin mir absolut sicher, dass ich hierbleiben will. Hey, immerhin habe ich den Winter überstanden. Nichts kann mich mehr schrecken.

Ich hebe die Hand, sehe Mikas Grinsen, als er auf mich zuläuft, und dann finde ich mich in einer festen Umarmung. Dann ist da Daniel.

»Schön, dich zu sehen, Kiddo«, sagt er, wozu ich die Augen verdrehe. Für ihn werde ich immer nur der kleine Junge sein …

Dann stehe ich vor meiner Tante Desi, schaue in ihre feuchten Augen. Sie hebt die Hand.

»Mein Junge.«

Ich schlinge meine Arme um sie, bin so erleichtert, dass sich nichts grundsätzlich geändert hat. Sie sind immer noch meine Familie, auch wenn uns jetzt tausende Meilen trennen. Onkel Alan klopft mir auf den Rücken.

Eilig wische ich mir über die Augen, bevor ich Lizzie und Ava begrüße. Dann greife ich nach einem der Koffer und bringe meine Familie nach draußen, wo ein Hilfssheriff am Kleinbus steht – den haben Millie und ich uns für unsere Touren gekauft.

»Tut mir leid, Officer«, beeile ich mich zu sagen.

Er sieht mich streng an. »Ist das Ihr Fahrzeug?«

»Ja, tut mir leid. Ich weiß, ich stehe im Halteverbot.«

Mika lacht auf. »Du musst dich immer in Schwierigkeiten bringen, was?«

Dabei ist er doch eigentlich der Waghalsige unter uns …

Ich verdrehe die Augen, sage dann verschwörerisch: »Sie kommen aus den Lower-48.«

Er nickt verständnisvoll. Das erklärt hier oben so einiges … Dann seufzt er. »Lassen wir es bei einer Verwarnung. Aber das sollte nicht mehr vorkommen.«

»Ganz sicher nicht«, verspreche ich, auch wenn ich weiß, dass ich beim nächsten Mal wieder so handeln würde.

»Schnell einsteigen«, ruft Daniel, dem die Aktion wahrscheinlich wieder total unangenehm ist. Spießer. Dann grinse ich. Ich habe sie vermisst.

Wie hoch ist die Chance, dass sie allesamt nach Alaska ziehen?

Ich will mich ans Steuer setzen, aber da sitzt schon Mika. Er grinst mich an. »Schließlich wollen wir doch ankommen.«

Da ich genau das immer mit Daniel mache, kann ich mich nicht beschweren, aber dass sie mich in die letzte Sitzreihe verbannen, muss nun echt nicht sein.

»Immer auf die Kleinen«, grummele ich, als ich hinten einsteige, und denke, dass ich vielleicht ein klein wenig zu viel Zeit mit Lincoln verbringe.

Aber es ist schön. Schön, sie bei mir zu haben. Das war schon viel zu lange nicht mehr der Fall. Wenn ich mir überlege, dass ich länger als ein Jahr nicht mehr zu Hause war … Wer hätte gedacht, dass diese erste Scouting-Tour dazu führen würde, dass ich jetzt auf einer alten Farm in Alaska lebe, mit der besten Frau der Welt und etwa vierzig wilden Pferden – die nicht mehr ganz so wild sind, nachdem wir unser gemeinsames Abenteuer erlebt haben. Auch wenn Millie und ich uns bemühen, sie nicht vollständig zu domestizieren. Bei Miss Little und Trouble ist es wahrscheinlich schon zu spät. Erstere hat Millie einfach in ihr Herz geschlossen, und letztere war zu lange unter Menschen, nachdem sie durch ihre Verletzung von der Herde getrennt war. Und auch wenn Katie untröstlich war, haben wir sie so schnell wie möglich mit den anderen zusammengebracht, sobald wir zurück in Whynot waren.

Mika fährt viel zu schnell gen Norden, was ich daran erkenne, dass sowohl Tante Desi als auch Daniel sich an der Tür festklammern. Ich würde ihm gern sagen, dass er aufpassen muss, weil Wölfe und Bären schon mal die Angewohnheit haben, die Straße zu queren, aber ich befürchte, ich sitze so weit weg, dass er mich eh nicht hört.

»Das ist also Whynot«, stellt Ava fest, als wir in die Stadt fahren.

»Das ist Whynot«, sage ich mit einem gewissen Stolz, als hätte ich irgendeinen Anteil an der Großartigkeit der Stadt.

»Charmant«, meint Desi, auch wenn ich das Gefühl habe, dass sie sich überwinden muss, etwas Positives zu sagen.

Und dann bremst Mika plötzlich. Als ich aus dem Wagen schaue, sehe ich auch wieso. Acht Pferde laufen die Hauptstraße entlang.

Schon wieder.

Stöhnend schäle ich mich aus dem Kleinbus, trete auf Trouble zu, die ihrem Namen alle Ehre macht. »Was machst du schon wieder in der Stadt?«

Sie schenkt mir einen Blick, der besagt, dass das wohl die albernste Frage aller Zeiten ist. Diese kleinen Ausbrecher sind in den letzten Wochen immer wieder hier aufgetaucht, als wollten sie einen Sonntagsausflug machen.

Und sind eine Attraktion der Stadt.

Nicht mal die Pferdeäpfel sorgen dafür, dass die Einwohner Whynots genervt sind.

Allerdings mussten Millie und ich strenge Regeln aufstellen. Kein Füttern. Kein Streicheln. Stattdessen sollen sie uns so schnell wie möglich anrufen, damit wir die kleinen Strolche wieder einfangen können.

»Ab nach Hause«, sage ich Trouble, mache eine scheuchende Bewegung mit den Händen.

Unwillig schüttelt sie den Kopf, wiehert einmal laut, bevor sie sich umdreht, und die kleine Herde langsam den Weg zurücktrottet. Kopfschüttelnd folge ich ihnen. Und der Kleinbus folgt mir.

Als wir an Nash’s Café vorbeikommen, tritt er auf die Straße. »Sie wollen ganz eindeutig in der Stadt leben«, scherzt er.

»Aber sie wollen keine Miete zahlen. Ich sprech da aus eigener Erfahrung.«

Er lacht auf. »Dann sollten sie wahrscheinlich lieber weiter bei euch schmarotzen.«

»Hab ich nicht mal gehört, dass sich alle Campbells um das Wohlergehen der Pferde kümmern?«, frage ich nach.

»Muss mir entfallen sein.«

»Sieht so aus.«

Es ist ein langer Weg nach Hause. Nicht, wenn man in einem Auto sitzt, aber wenn man den Weg zu Fuß hinter schlendernden Pferden läuft. Ich würde meine Familie gern vorausschicken, aber dann würden sie ohne mich auf Millie treffen … Und ich habe keine Ahnung, wie das Treffen ablaufen würde. Es ist besser, wenn ich zum Moderieren dabei bin, denke ich.

Und so muss Mika wohl zum ersten Mal in seinem Leben langsam fahren …

Als wir nach mehreren Stunden auf die – brandneue – Einfahrt treten, kommt Millie aus dem Haus.

Sie sieht erst besorgt aus, aber als sie dann die Pferde sieht, seufzt sie grinsend. »Vielleicht brauchen wir doch einen Zaun.«

Unser privater Scherz, den wir niemals umsetzen würden, schließlich sollen sie frei sein. Wir freuen uns, dass sie in unserer Nähe bleiben, aber es gibt auch mal Zeiten, in denen sie sich überhaupt nicht blicken lassen. Wir müssen uns dann gegenseitig versichern, dass das so gewollt ist, damit wir nicht in Panik ausbrechen. Helikopter-Pferdeeltern.

Trouble führt ihre Freunde am Haus vorbei, was mich erleichtert. Wenigstens läuft sie in die richtige Richtung.

Ich küsse Millie auf die Lippen, bevor ich mich zu meiner Familie umdrehe, die sich mittlerweile aus dem Wagen befreit hat, die Glieder streckt. Für sie war es wahrscheinlich anstrengender als für mich …

»Familie, das ist Millie.« Ich drücke ihre Hand. »Millie, das sind …« Und dann stelle ich sie ihr alle vor, auch wenn wir schon das ein oder andere Mal mit ihnen gefacetimed haben. Vor allem mit Mika und Daniel, die wesentlich weniger böse mit mir sind, weil ich nach Alaska gezogen bin.

»Willkommen in Whynot«, sagt Millie lächelnd. »Wir dachten, dass wir euch erstmal alles hier zeigen. Dann bringen wir euch in die Lodge.«

Sie begrüßen sich, viel zu höflich für meine Geschmack, aber das wird sich im Laufe der Woche hoffentlich noch ändern. Wir folgen Millie ins Haus, wo sie den Tisch gedeckt hat. Ich sehe Nashs Zimtröllchen, ebenso wie zwei Kuchen, die ihre Mutter gemacht haben muss … Angeberin.

Aber den Kaffee hat sie eindeutig selbst gekocht. Er ist nämlich extrastark.

»Und das hier?«, fragt Onkel Alan, und macht eine Geste, die die ganze Gegend miteinfasst. »Das ist jetzt dein Leben?«

Ich schaue zu Millie, greife nach ihrer Hand, lächele sie an. »Das ist jetzt mein Leben.«

Und das wunderbarste Strahlen antwortet mir … Ich könnte nicht glücklicher sein. Niemals. Nirgendwo. Nur hier. Hier bei ihr.