Meet Chrissa
Heute poste ich mal den ersten Abschnitt von JACE, inklusive der Schnipsel, die ich bereits gepostet hatte. Also, hier kommt Chrissa:
Ich drehe mein Weinglas in den Händen und lausche meiner besten Freundin Delilah, die gerade den Ablauf ihrer Hochzeit erklärt. Ich bemühe mich, gespannt und gebannt auszusehen, aber eigentlich ist mir nur zum Gähnen zumute. Eventuell, weil ich die gleiche Geschichte schon dreimal gehört habe. Im Ganzen. Und unzählige Male die Einzelheiten, aufgeteilt in viele kleine Häppchen, damit ich ja nichts vergesse. Schließlich bin ich die erste Brautjungfer, die Trauzeugin, die Maid of Honor. Ganz offensichtlich erlaubt ihr dieser Status, mich zu quälen.
Während ich mir also am liebsten die Augäpfel ausstechen will, schaue ich heimlich zu Steve, dem Trauzeugen, dem Best Man. Wieso ist es mir eigentlich eine Ehre und er ist der Beste? Naja, den Titel hat er ganz sicher nicht verdient, wie ich nach einer betrunkenen Nacht vor sechs Jahren weiß. Was soll ich sagen? Ich war jung und brauchte das Geld.
»Liebe Lila, lieber Trevor, es ist mir eine große Freude, euch auf diesem wichtigen Schritt zu begleiten«, sagt er da auch gerade schwülstig. Seht ihr, was ich meine? Ich kann innerlich nur den Kopf schütteln.
»Wir freuen uns sehr, dass du das für uns tust«, antwortet Trevor und ich sehe das verräterische Zucken seiner Ader an der Stirn, die immer dann pulsiert, wenn er emotional aufgewühlt ist. Also, kurz vorm Platzen eben.
»Wie seid ihr eigentlich auf mich gekommen?«, fragt der Schleimbeutel da auch noch.
Ich werfe ein: »Es gab eine Umfrage. Ich hab auch für dich gestimmt.«
Er schaut mich überrascht an, kann nicht glauben, dass ich ihn anspreche. »Wirklich?«
Ich nicke übertrieben. »Ja, klar. Du, Osama bin Laden und Saddam Hussein standen zur Auswahl. Da die beiden anderen schon tot sind, hab ich für dich gestimmt.«
»Chrissa!«, weist mich Lila zurecht. Ich verstehe ja, dass sie zwischen den Stühlen hängt, aber wirklich, dass muss sie doch nicht an mir auslassen. Ich kann schließlich nichts dafür, dass sie so einen Langweiler wie Trevor heiratet, der keine Freunde hat, und deswegen in unserem Freundeskreis wildern musste. Ja, und all die tollen Jungs, die wir kennen, hatten eben auf so einen Scheiß auch keinen Bock. Ergo Steve.
Mir wird immer noch schlecht, wenn ich daran denke, dass er mal seinen Schwanz in mir hatte. Ihgitt. Wie konnte ich nur? Es war der Alkohol! Ich schwöre!
»Ist es nicht so, dass die Trauzeugen immer was miteinander anfangen?«, scherzt Trevor.
»Nein!«, schreie ich aus vollem Hals.
Lila verdreht genervt die Augen und Steve sieht mich verletzt an. Hundebabyaugen. Fuck, verdammter. Nein, Chrissa, lass dich nicht von diesem Welpenblick zum Mitleidssex überreden. Nicht, lass das!
»Naja, vielleicht fummeln«, scherze ich dann und bereue es sofort, als ich Steves freudigen Gesichtsausdruck sehe.
Während sich Lila und Trevor über die Farbe der Tischdeko streiten, beugt sich Steve zu mir und raunt mir ins Ohr: »Du warst der beste Sex meines Lebens.« Scheiße, Mann, ich befürchte, ich war auch dein einziger.
Ich ahne, es soll verführerisch sein, aber bei mir regt sich da leider nur der Brechreiz. Warum mache ich ihm auch Hoffnung? Selbst Schuld, wenn er mir jetzt noch mal seine Quallenzunge in den Mund stopft. Das hätte ich absolut verdient.
Gott sei Dank dauert diese mittelalterliche Folter nicht mehr lange und ich kann entkommen. Lieber alleine mit einer Packung Eis und einer Reality TV-Show, als in dieser Freakshow mit Ekel Steve und Spießer Trevor. Wie kann Lila sich das antun? Und noch viel schlimmer, wie kann sie mir das antun? So Hochzeiten sind doch für die Freunde am Schlimmsten.
Ich kann Steve gerade noch davon abhalten, mir anzubieten, mich nach Hause zu begleiten. Das hier ist Manhattan nicht Mexico City.
Ich nehme die U-Bahn und fahre ins Village. Meine mietpreisgebundene Wohnung liegt in der Nähe des Washington Square Parks, so dass ich noch ein paar Blocks zu Fuß gehen muss. Meine Loboutins danken es mir. Ach, habt ihr etwa gedacht, ich mache mir Sorgen um meine Füße? Nein, weit gefehlt, die Schuhe sind aus der neusten Kollektion und haben mich ein Vermögen gekostet, weit mehr als ich je für Essen ausgeben würde. Das ist gelogen. Ich gebe auch scheißeviel Geld für Essen aus. Aber nur, weil ich nicht kochen kann, und es hasse, mir was liefern zu lassen. Stattdessen mache ich mich schick und habe Dates mit mir selbst in der ganzen Stadt. Ich probiere jedes hippe Restaurant mal aus. Und wir sind hier in Manhattan, das ist das Mekka für Foodies.
Ich gehe die Stufen zur Haustür hinauf und klettere dann in den dritten Stock ohne Fahrstuhl. Sagt es mit mir: mietpreisgebundene Wohnung, mietpreisgebundene Wohnung. Da versucht man sich doch gerne als Bergziege.
Ich schließe meine Wohnungstür auf, schlüpfe aus den High Heels, die ich liebevoll in den Schuhschrank stelle. Manchmal überlege ich, ihnen ein Gute-Nacht-Lied zu singen, aber das würde selbst mir zu weit gehen. Das will schon was heißen.
Ich ziehe die Vorhänge zu, bemerke dabei, dass es meine Nachbarn von gegenüber mal wieder bei offenem Fenster treiben. Der Kerl hat ein Stehvermögen, das ist unglaublich. Er kann die ganze Nacht in sie hämmern wie ein Maschinengewehr oder ein Duracell Hase. Die Geräusche unterhalten die ganze Straße und manchmal sitzen Katzen vor dem Haus, um in das Maunzen einzustimmen.
Ich ziehe mein Kostüm aus, ich bin direkt von der Arbeit ins Restaurant gerannt, und kuschel mich mit meinem neusten Buch ins Bett. Big Little Lies von Liane Moriarty. Gerade noch auf der Bestsellerliste und schon auf meinem Reader. Ich bin sofort gefesselt von der Geschichte um Madeline, Celeste und Jane. Irgendwann fallen mir die Augen zu und selig schlafe ich ein.
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