Leseprobe: The Irishs – Brady
Kapitel 1
Brady
Als mein Handy klingelt, wische ich mir die ölverschmierten Hände an einem Lappen ab. Noch bevor ich auf das Display schaue, weiß ich schon, wer es ist. Sie ist es. Ebenso wie beinahe jeden Tag in der letzten Woche.
Weil ich ein beschissener Masochist bin, gehe ich dran und würde mich dafür gern selbst steinigen.
»Hallo?«
»Hey, Baby.«
»Was willst du, Mindy?«
Ihre Stimme hat einen unterwürfigen, schmeichelnden Klang, als sie sagt: »Ich will dich, Baby, das weißt du.«
Komisch, schießt es mir durch den Kopf, als sie damals mit mir Schluss gemacht hat, hat ihre Stimme ganz anders geklungen. Gar nicht schwach, ganz im Gegenteil. Sie war hart und kalt. Und irgendwie hat mir das besser gefallen.
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich nachdenken muss.«
»Aber wie lange denn? Ich weiß, dass du mich liebst. Gib mir noch eine Chance.«
Ich streiche mir über den Zehntagebart. »Ich weiß es nicht. Ich bin einfach nicht überzeugt, dass du aus den richtigen Gründen zurückkommen willst.«
»Aber ich hab meinen Mann für dich verlassen«, säuselt sie in einer Tonlage, die ein Pochen hinter meiner Stirn auslöst. Früher dachte ich, dass ihre Stimme sexy wäre, aber jetzt verursacht sie eher Kopfschmerzen.
»Es ist fast neun Jahre her, dass wir zusammen waren.«
»Das ist eine wichtige Entscheidung, die konnte ich nicht leichtfertig treffen.«
Sie zögert nicht einmal. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
»Kannst du nicht ein Mal ehrlich sein?«
»Ich bin ehrlich«, antwortet sie entrüstet. »Ich liebe dich immer noch, hab niemals aufgehört, dich zu lieben.«
»Komische Art, das zu zeigen.«
»Lass uns doch persönlich darüber sprechen. Ich komm zu dir, wir reden, lernen uns wieder kennen, und dann entscheiden wir. Wie klingt das?«
»Wieso machst du so einen Druck?«
Sie seufzt leise. Ein Laut, den sie auch immer im Bett gemacht hat und der mir direkt in den Schwanz schießt. Sex mit ihr war immer geil, nur der Rest … Fuck. Was soll ich machen?
Mein Bruder Finn würde mir jetzt den Kopf zurechtrücken, mir sagen, dass es überhaupt keinen Grund gibt, ihr noch eine Chance zu geben, dass sie es nicht wert ist. Meine Cousine Orla würde es weniger nett ausdrücken und sagen, dass sie eine manipulative Kuh ist, die irgendeinen Grund für ihre Kehrtwende hat.
Und wenn es um einen von ihnen ginge, würde meine Meinung ebenso lauten. Ohne Frage. Aber sie alle wissen nicht, wie es sich mit Mindy angefühlt hat. Wie perfekt es war, bis es nicht mehr perfekt war. Sie war meine erste große Liebe, und die vergisst man einfach nicht.
»Ich vermisse dich.«
Es sind solche Worte, die meine Entschlossenheit ins Wanken bringen. Erneut reibe ich mir über das Gesicht. »Ich vermisse dich auch.«
Fuck, das wollte ich gar nicht sagen, auch wenn es der Wahrheit entspricht. Ich habe sie anfangs ständig vermisst. In meinem Herzen ist ein Loch, das immer noch ihre Form hat.
Ich sehe praktisch Finns ungläubiges – und ein wenig angeekeltes – Gesicht vor mir, höre seine Worte: Alter, wirklich? So ein verfickter Kitsch!
Aber ja. Liebe ist auch ein wenig kitschig, oder?
Triumph klingt in ihrer Stimme mit, als sie sagt: »Lass mich zu dir kommen. Es war immer so gut zwischen uns.«
»Ich muss drüber nachdenken.«
»Komm schon, Baby. Ich weiß, du willst mich auch.«
»Darüber muss ich mir erst klar werden.«
Ein Schnurren erklingt. »Soll ich mal deinen Schwanz fragen, was er davon hält?«
Und jetzt klingt ihre Stimme plötzlich wieder supersexy, kein bisschen nervig. Außerdem schießt sie mir tatsächlich direkt in den Schwanz, sodass meine eng anliegenden Boxershorts noch enger werden. Ein wenig gereizt richte ich ihn, damit er keinen Unsinn anstellt.
»Mindy …«
»Stellst du dir vor, ich würde vor dir knien? Deine Hose aufmachen? Deinen Schwanz umfassen? Über ihn lecken?«
»Fuck«, entfährt es mir. Ich schaue mich um, ob irgendein Kollege meinen Ständer sieht. Wie gut, dass der Overall locker sitzt.
»Ich hab es immer geliebt, deinen Schwanz zu lutschen. Und wenn ich mich recht erinnere, hast du es auch geliebt.«
»Ich bin ein Kerl. Natürlich lieb ich es, wenn mein Schwanz in einem Mund steckt.«
Sie lacht auf. Hell und gleichzeitig auch ein wenig rauchig, verrucht. »Es gibt also keine schlechten Blowjobs?«
»Nein, nur Abstufungen von gut.«
»Ich wette, du bist hart.«
Die Wette hat sie eindeutig gewonnen.
»Hm.«
»Ich komm Freitagabend zu dir. Schick mir deine Adresse.«
Mein Schwanz zuckt, als hätte er noch nie so einen grandiosen Vorschlag gehört. Ich gebe mich geschlagen. »Okay.«
»Du wirst es nicht bereuen, Baby.«
Und ob ich das werde.
Nach einem kurzen Gruß beendet sie das Gespräch und ich starre auf das Display. Fuck, worauf habe ich mich da eingelassen? Wenn mein Schwanz involviert ist, hat das logische Denken keine Chance. Und offensichtlich weiß sie recht gut, welche Knöpfe sie bei mir drücken muss.
Ich starre auf den Übeltäter, frage mich, ob ich mir mal eben einen runterholen soll, als eine unbekannte, aber eindeutig weibliche Stimme hinter mir fragt: »Entschuldigung, ich habe einen Termin.«
Fuck, fuck, fuck. Ich kann doch keiner Kundin mit Latte gegenübertreten.
»Hallo?«, fragt sie, als ich keine Anstalten mache, mich umzudrehen. Kann vielleicht mal ein Kollege auftauchen? Aber ein kurzer Blick zeigt mir, dass sie alle beschäftigt sind.
Sie tippt mir auf die Schulter. »Entschuldigung!«
Ich schaue kurz nach oben, sende ein Stoßgebet gen Himmel, bevor ich mich umdrehe, und hoffe, dass der Overall wirklich locker genug hängt.
»Ja, bitte?«, sage ich, bevor ich einen Blick auf sie werfe, der erst mal über sie hinweg geht. Sie ist klein. Wie konnte sie mir auf die Schulter tippen? Als ich den Blick senke, sieht mir ein freches Gesicht entgegen, bevor sie ihren Blick über meinen Körper schweifen lässt und einen Moment auf meinem Schwanz verweilt. Mist. Kann man meine Latte doch sehen?
Mallory
Ich beiße mir auf die Lippe, als ich sehe, dass der Mann vor mir erregt ist. Keine Ahnung, wieso das so ist. Ist es ein Autofetisch? Ich meine, so ein Ferrari ist schon sexy, aber dass man davon einen Ständer bekommt? Schon ein wenig merkwürdig.
Als mein Blick wieder in seinem Gesicht landet, ist er eindeutig peinlich berührt, was mir irgendwie ein diebisches Vergnügen bereitet.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
Er bemüht sich um Professionalität, wobei ich denke, dass das obsolet ist, denn der Anblick ist eine reine Sünde. Nicht nur das ordentliche Paket, das er in der Hose hat, auch der Rest. Die Muskeln, die unter seinem Overall zu erkennen sind. Das Gesicht. Markant, männlich, aber irgendwie auch so gut aussehend, dass ich mir vorstellen könnte, dass er über die Laufstege in Mailand und New York laufen könnte. Bis auf eine Narbe, die durch seine eine Augenbraue bis zur Schläfe geht. Sie ist verblasst, tut seinem guten Aussehen keinen Abbruch, im Gegenteil. Dadurch wirkt er interessanter.
»Ich habe einen Termin«, wiederhole ich. Ich zeige zum offenen Tor der Werkstatt, wo der Lamborghini meines Chefs steht. »Der soll zur Inspektion.«
Mr. Sexy nickt. »Lassen Sie mich eben nachsehen …«
Er geht, ein wenig breitbeinig, wie mir auffällt, zu einem Schreibtisch. Grinsend folge ich ihm. Er blättert durch einen Kalender. »Ms. Callahan?«
»Ganz genau.«
»Alles klar. Lassen Sie die Schlüssel da. Ich ruf Sie an, wenn er fertig ist.«
»Er muss heute noch fertig werden.«
Er reibt sich über das Gesicht. »Hm, das wird nicht klappen.«
»Nein, Sie verstehen nicht. Mein Chef will ihn auf jeden Fall heute noch zurückhaben. Das war so abgesprochen.«
Er sieht wieder in den Kalender. »Wissen Sie, mit wem Sie den Termin abgesprochen haben? Ich kann hier leider keinen Eintrag sehen, dass es eilt.«
»Mario hieß er.«
Mr. Sexy nickt. »Einen Moment.« Dann geht er ein paar Schritte in die Halle hinein. »Mario!«
»Ja?«, ruft ein Mann, der sich gerade über den Motor eines anderen Wagens beugt. Es ist ein Mercedes, der neben all den italienischen Sportwagen irgendwie schnöde wirkt.
»Kannst du mal kommen?«
Mario kommt zu uns und fängt an, zu lächeln, als er mich sieht. »Ms. Callahan! Schön, Sie zu sehen.« Er reicht mir die Hand.
»Mario, hast du zugesagt, dass wir heute noch fertig werden?«, fragt Mr. Sexy.
»Ja, natürlich. Für Mr. Lopez machen wir das.«
Ich lächele Mario dankbar an. »Sie wissen ja, wie er ist.«
Er grinst. »Allerdings. Keine Sorge, das Auto ist heute Nachmittag um fünf fertig.«
»Vielen, vielen Dank.«
Ich werfe noch einen Blick auf Mr. Sexy, bevor ich mich verabschiede. Sollen sie das untereinander klären. Wie sie es machen, ist mir egal, nur, dass es gemacht wird, zählt. Denn sie sind es nicht, die ihren Kopf abgerissen bekommen, wenn sie es nicht schaffen. Das bin ich.
Ich laufe ein Stück die Straße entlang, während ich auf das Uber warte, das ich gerade bestellt habe. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass ich spät dran bin. Mein Terminplan ist leider immer mit der heißen Nadel gestrickt, weswegen ich ständig spät dran bin. Und ständig die Gefahr droht, meinen Boss zu verärgern. Wobei das nicht richtig ist. Es ist Juan Lopez vollkommen egal, ob ich was falsch oder was richtig mache. Den Kopf reißt er mir trotzdem jeden Tag ab.
Ich seufze. Vielleicht ist das nicht wirklich der richtige Job für mich. Aber bei allen Unannehmlichkeiten ist er gut bezahlt und eine echte Chance. Ein gutes Zeugnis von Juan Lopez öffnet mir alle Türen. Ich muss nur zwei Jahre überstehen, dann sieht es sehr gut für mich aus. Leider habe ich erst fünf Monate.
Macht noch anderthalb Jahre. Abgerundet. Damit es nicht zu gruselig ist.
Als der Wagen ankommt, steige ich ein, ziehe mein Handy aus der Tasche und beginne mit der Beantwortung der E-Mails, die in der letzten Stunde reingekommen sind.
Ich arbeite für ein Tech-Start-up – wobei, kann man es nach so einer langen Zeit noch Start-up nennen? – im Silicon Valley. Juan hat vor fünfzehn Jahren mit seinen Kumpels Roberto und Diego in der Garage seiner Eltern ein Unternehmen gegründet. Er scherzt immer, wenn er mal scherzt, dass sie es eigentlich Pear nennen wollten, aber das wäre zu nah an Apple gewesen. Daher macht er eigentlich keine Witze. Weil er es nicht kann. Jedenfalls stellen sie Computerchips her, die in jedem neuen Computer, ob Microsoft oder Apple oder jede andere Marke, zu finden sind. Sie haben sich unentbehrlich gemacht, aber gleichzeitig auch gefährdet, denn die größere Konkurrenz ist natürlich nicht begeistert, dass so ein paar dahergelaufene Einwandererjungs einen Teil vom Kuchen abbekommen.
Es entspricht aber auch nicht der Geschichte des Silicon Valley. Wir wissen alle, dass Bill Gates oder Steve Jobs mit ihren Unternehmen Geschichte geschrieben haben. Aber wenn man die Geschichte von erfolgreichen Tech-Gründern betrachtet, kommen sie aus wohlhabenden Familien, haben die beste schulische Ausbildung bekommen und sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem sie gefördert und gefordert wurden.
Juan und seine Kollegen entsprechen diesem Bild ganz und gar nicht. Sie sind tatsächlich Kinder von Einwanderern, die all das, was erfolgreiche Innovatoren haben, nicht vorweisen können. Und trotzdem haben sie es geschafft, ein Unternehmen zu gründen, das mittlerweile mit den großen Playern mithalten kann. Das ist beeindruckend.
Aber manchen Menschen steigt Ruhm zu Kopf.
Und manche Menschen werden von Paranoia geplagt, dass jeder sie fertigmachen will.
Bei Juan ist es beides. Sein Erfolg steigt ihm zu Kopf, den er um alles in der Welt verteidigen will, gegen die Bösen, die ihm seinen Erfolg neiden. Eine krude Mischung, die nicht dafür sorgt, dass er ein einfacher Chef ist.
Als ich im Büro ankomme, ruft Shelley mir schon vom Empfang zu: »Er ist auf dem Kriegspfad.«
Ich verdrehe die Augen, denn im Grunde kann sie mir das jeden Tag sagen und es würde immer stimmen.
»Mallory!«, ruft er, als er mich durch die Glaswand seines Büros sieht.
Ich lege meine Handtasche in die Schublade meines Schreibtischs, bevor ich zu ihm gehe. »Dein Wagen ist um fünf fertig. Holst du ihn selbst ab?«
»Nein. Bring ihn zu mir nach Hause. Hast du die Unterlagen für das Meeting fertig?«
»Auf meinem Schreibtisch.«
»Und hast du der Pressetante erklärt, worauf es mir bei dem Interview ankommt?«
»Natürlich.«
»Was ziehe ich an?«
Ich deute auf den Kleidersack, den ich an sein Regal gehängt habe. »Alles da. Ich habe einen Stylisten gebucht, falls du dich frisieren lassen willst.«
Er streicht sich durch die Haare. »Was stimmt nicht mit meiner Frisur?«
»Nur für den Fall.«
»Will ich nicht.«
»Alles klar. Er kommt trotzdem, falls du dich umentscheidest.«
»Werd ich nicht.«
»Großartig.« Ich blicke ihn erwartungsvoll an.
»Hast du meiner Frau gesagt, dass ich heute später komme?«
»Selbstverständlich.«
»War sie sauer?«
»Nun, du verpasst die Theateraufführung deines Sohnes.«
Er streicht sich über das Gesicht. »Der ist noch so klein, dass er mich nicht vermisst.« Juan sieht mich ein wenig verlegen an. »Hast du den Tisch reserviert?«
»Habe ich. Wie gewünscht um sieben Uhr dreißig.«
»Einen eher versteckten?«
Juan hat eine Ehefrau und zwei Kinder. Und eine Geliebte, die halb so alt ist wie er. Ich will gar kein Moralapostel sein, das ist alles seine Sache, nicht meine. Aber ich wünschte, er würde mich nicht mit reinziehen. Leider lässt er mich diesen Teil seines Lebens ebenso organisieren wie jeden anderen. Dass ich ihm nicht die Schuhe zubinden muss, ist auch schon alles.
»Denselben wie immer.«
Er nickt mir zu und ich gehe zurück an meinen Schreibtisch, beantworte weiter E-Mails, leite ihm die wichtigsten weiter, sichte seine Korrespondenz, richte dann den Konferenzraum her, bevor er mir zwanzig Minuten vor dem Interview sagt, dass er den Stylisten doch haben will. Jedes verdammte Mal. Und weil ich das weiß, wartet dieser natürlich auf Abruf.
Das Interview findet in einem der Konferenzräume statt. Das Fernsehteam hat bereits alle Kameras aufgebaut. Die beiden Sessel, die ich hierher habe bringen lassen, sind ebenfalls angekommen, ebenso wie der Strauß Blumen, damit der doch recht sterile Raum freundlicher wirkt.
»Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?«, frage ich, als ich in den Raum trete. Ich sehe mich um. Erfrischungen sind vorhanden und alles sieht gut aus.
Die Reporterin, Debbi Rogers, eine der erfolgreichsten Journalistinnen der Gegend, lächelt mich an. »Nein, es ist alles perfekt. Vielen Dank. Ist Mr. Lopez so weit?«
»Er ist in fünf Minuten bei Ihnen.«
»Perfekt. Danke.«
Ich lächele sie an, bevor ich wieder zu seinem Büro eile, um ihn anzutreiben. Denn er hat so was von keinen Sinn für Pünktlichkeit.
»Juan, wir müssen los.«
»Das sitzt hier nicht richtig«, jammert er vor dem Spiegel.
Innerlich verdrehe ich die Augen, bevor ich vor ihn trete und seine Krawatte richte. »So besser?«
Wie immer nickt er nur, statt sich zu bedanken. Ich meine, wozu sollte man das auch tun?
Mit schnellen Schritten geht es zurück zum Interview. Er wird noch kurz abgepudert, bevor es losgeht.
So arschig er auch sein kann, ist er doch auch sehr charmant, wenn er es sein will. Und jetzt will er. Die herzzerreißende Geschichte von dem armen Jungen, dem nichts geschenkt wurde, zieht jedes Mal. Auch bei mir, obwohl ich sie in den letzten fünf Monaten bereits drei Millionen Mal gehört habe.
»Und daher launchen wir in Zusammenarbeit mit der Schulbehörde von Palo Alto ein neues Projekt. Jede Schule im Bezirk wird von uns mit neuen Computern ausgestattet.«
Ein großzügiges Angebot. Aber keins, das aus der Güte seines Herzens kommt, sondern eine knallharte Geschäftsentscheidung ist, um Steuern zu sparen.
Nach dem Interview geht es in den anderen Konferenzraum, den ich vorbereitet habe, während Juan sich frisch macht und seine anderen Klamotten anzieht. Er hasst Anzüge, aber sie gehören nun mal dazu.
Shelley klingelt an, dass der Caterer da ist, also hole ich ihn am Aufzug ab.
Dieses Meeting ist wichtig. Es ist eine Strategiebesprechung mit einem kleineren Unternehmen, mit dem JRD zusammenarbeiten will. JRD steht natürlich für Juan, Roberto und Diego. Eigentlich wollen sie sie aufkaufen, aber diesen Plan haben sie bisher noch nicht enthüllt.
Ist es arschig? Natürlich, aber hat irgendjemand gedacht, dass man in der Geschäftswelt saubere Hände behält?
Shelley ruft mich erneut an, weil unsere Gäste eingetroffen sind. Ich nehme sie in Empfang. Sie sind freundlich und irgendwie süß. Unbedarft, ein wenig naiv. Ich würde ihnen gern sagen, dass sie als Guppys auf keinen Fall mit Haien schwimmen sollten, aber das würde mich meinen Job kosten und ich habe mich irgendwie daran gewöhnt, jeden Abend Essen auf dem Tisch zu haben.
»Juan, Roberto und Diego sind gleich da. Kann ich Ihnen noch irgendwas Gutes tun?«, frage ich, nachdem ich sie mit Getränken versorgt habe. Sie schütteln die Köpfe, weswegen ich zu Juan eile.
»Das Meeting kann starten«, teile ich ihm mit, bevor ich sehe, dass Roberto und Diego ebenfalls ins Juans Büro sind. »Sorry.«
Roberto lächelt mich freundlich an. »Alles gut. Danke für die Info.«
»Wir wollen sie noch ein bisschen schmoren lassen«, fügt Diego mit einem wölfischen Grinsen und einem Blick auf meine Beine hinzu.
Wieso Roberto mit Juan und Diego befreundet ist, kann ich nicht verstehen. Er ist nett, wo sie es nicht sind. Aber wahrscheinlich braucht jedes Unternehmen eine gute Seele.
Ich ziehe mich zurück, setze mich an meinen Schreibtisch, warte, bis die drei es für richtig halten, zu ihrem Meeting aufzubrechen. Als es so weit ist, greife ich nach dem Stapel Papiere, den ich vorbereitet habe, nehme mein Tablet sowie Block und Stift mit, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.
Das Meeting ist ein Desaster. Oh, nicht falsch verstehen, Juan und Diego sind aggressiv und gnadenlos und haben die beiden Jungs schnell da, wo sie sie haben wollen. Aber für die beiden Guppys ist es ein Desaster, ein echtes Schlachtfest, und es tut mir weh, dabei zuzusehen.
Als ich sie hinterher zum Aufzug begleite, sehen sie aus, als wären sie von einem Zug überfahren worden. Ich verabschiede mich so warm und nett wie möglich, als wollte ich gutmachen, was die Haie gerade angerichtet haben. Es ist schon ein wenig merkwürdig, dass sie in den letzten Jahren unter dem aggressiven Gebaren anderer gelitten haben, jetzt aber anderen dasselbe antun. Sollte man da nicht sensibler sein?
Zurück an meinem Schreibtisch, ruft Juan mich wieder zu sich. »Buch ein Hotelzimmer und erzähl meiner Frau, dass ich zu einem kurzfristigen Geschäftstermin musste.«
Ich hasse es. Wirklich. Das sind keine Termine, die ich arrangieren sollte.
»Natürlich.«
»Rocio ist ein wenig angezickt. Besorg ein Geschenk. Ein Armband oder so was.«
»Im üblichen Preisrahmen?«
»Ja.« Er klopft mit einem Stift auf den Schreibtisch. »Und besorg auch was Hübsches für meine Frau. Aber nicht so teuer.«
»Sehr gern.«
»Ist sonst alles vorbereitet?«
»Natürlich. Soll ich dir den Wagen dann zum Hotel bringen?«
»Das ist besser. Wie komme ich zum Restaurant?«
»Um neunzehn Uhr steht ein Wagen mit Fahrer bereit. Er bringt dich dann auch zum Hotel.«
Er nickt. Mein Zeichen, dass ich entlassen bin.
Ich rufe in dem Hotel an, in dem er sich gern mit seiner Geliebten trifft, arrangiere, dass Champagner und kleine Köstlichkeiten auf sie warten, die Rocio liebt, bevor ich beim Juwelier anrufe, um anzukündigen, dass ich gleich vorbeikomme und er schon mal ein paar Armbänder und Ohrringe zusammenstellen soll.
Ich schaue auf die Uhr.
Oh, Zeit für Mr. Sexy.
»Juan, ich hole jetzt das Auto ab und bringe es zum Hotel. Auf dem Weg hole ich den Schmuck ab. Den für Rocio lege ich ins Hotelzimmer und den für deine Frau lege ich ins Handschuhfach. Oder soll ich ihn dir lieber morgen geben?«
»Handschuhfach. Ich bin zum Frühstück bei der Familie.«
»Dann sehen wir uns morgen?«
»Kommst du nicht noch mal rein?«
»Ähm, ich dachte, weil du ab sieben weg bist …«
»Wie lange dauert es denn, das zu erledigen? Du kommst auf jeden Fall noch mal rein.«
»Okay. Dann bis gleich.«
Ich rufe mir ein Uber, auf dem Weg rufe ich seine Frau an, teile ihr die geänderten Pläne mit. Niemals hätte ich über mich selbst gesagt, dass ich eine gute Lügnerin bin. Die letzten fünf Monate haben mich einiges gelehrt. Leider.
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