Leseprobe: Lipstick & Kilts – Tavish

Kapitel 1

Skye

Jemanden zu entführen, habe ich mir auch leichter vorgestellt, denke ich, als ich aufs Gas drücke, um noch über die Kreuzung zu kommen.

»Nicht zu schnell. Wir dürfen nicht auffallen«, erklärt mein Cousin vom Beifahrersitz.

»Wir dürfen nicht auffallen? Hast du eigentlich den Verstand verloren? Du kannst doch nicht einfach Menschen entführen.«

»Wir haben doch keine andere Wahl!«, rechtfertigt er sich.

»Und dann machst du mich auch noch zur Komplizin! Ich kann es nicht fassen.« Ich würde mir die Haare raufen, aber meine Finger sind krampfhaft ums Lenkrad geschlungen.

»Ist ja gut. Ich nehm die ganze Schuld auf mich, okay?«

»Nein, nichts ist okay. Das ist ein Mensch!«

»Hör auf, dich so aufzuregen!«

Ich schüttele den Kopf. »Ganz ehrlich, das hab ich nicht kommen sehen. Ich fahr einen Fluchtwagen.«

»Keinen Fluchtwagen. Einen Gefangenentransport.«

»Du bewegst dich eh schon auf ganz dünnem Eis. Sicher, dass du mich noch weiter verärgern willst?«

»Das ist das Problem mit euch Brodie-Frauen. Ihr werdet viel zu emotional.«

Ich starre ihn an, erinnere mich dann aber, dass ich besser auf die Straße schauen sollte. »Wie viele Brodie-Frauen kennst du denn? Hm? Da bin ich ja mal gespannt.«

Er seufzt. »Boah, das sagt man doch nur so.«

»Ich kann dir sagen, wie viele du kennst. Eine. Ganz genau eine.«

»Tja, und du bist emotional, also hab ich ja recht.«

Ich schließe kurz die Augen, bereit, auf die Bremse zu treten und dieser ganzen Farce ein Ende zu bereiten. Leider ist es mein Wagen. Ja, ich weiß.

Wenn ich gewusst hätte, dass mein Cousin Martin mich zu einer Entführung mitnimmt, hätte ich natürlich nicht mein Auto genommen. Quatsch, ich hätte gar nicht erst mitgemacht.

Aber Martin hat mich beinahe panisch angerufen und gesagt, dass es ein Notfall sei. Und weil ich eben nach all den Jahren immer noch ziemlich naiv bin, was ihn angeht, bin ich drauf reingefallen. Schon wieder.

Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie plötzlich jemand mit schwarzer Kapuze über dem Kopf hinten in den Kastenwagen gestoßen wurde. Und dann sprang er ins Auto und schrie nur: »Fahr, fahr, fahr!«

Okay, ja, ich hätte mich weigern können. Aber er ist Familie. Auch wenn er den IQ eines Streifenhörnchens hat. An manchen Tagen ist das noch hoch gegriffen.

Ich seufze. »Wer ist das überhaupt?«

»Der Bautyp, der unsere Häuser abreißen will.«

Fassungslos starre ich ihn an. Wie gut, dass wir gerade an einer Ampel stehen. »Dein Ernst? Nach ihm wird doch gesucht werden! Die Polizei wird kommen und … Wie blöd bist du eigentlich? Das ist nicht nur so ein dummer, kleiner Dealer oder mit wem du sonst rumhängst.«

»Hey, ja! Ich muss mich von dir nicht beleidigen lassen!«

»Doch, musst du, weil du mich in diese Scheiße gezogen hast!«

»Du bist echt ’ne Bitch!«

»Wie bitte?« Ich trete auf die Bremse und höre von hinten einen Aufschrei. Shit. Jetzt hatte ich glatt vergessen, dass wir einen blinden Passagier haben.

»Fahr weiter!«

»Du kannst froh sein, dass ich keine andere Familie als dich hab, sonst würde ich jetzt schnurstracks zu den Bullen fahren und dich abliefern.«

»Du bist die Fluchtwagenfahrerin. Du bist dann ebenso dran wie ich.«

Wie vor den Kopf geschlagen, starre ich ihn an. »Was bist du für ein erbärmlicher Wichser.«

»Fahr weiter! Nur noch ein paar Minuten, dann kannst du dein scheißperfektes Leben weiterleben.«

»Scheißperfekt?«

Aber ich fahre weiter. Ich würde ihn nie ans Messer liefern, und je schneller ich beide aus dem Auto habe, desto besser.

Wir fahren aus der Stadt raus, und irgendwo im Nirgendwo sagt er mir, dass ich anhalten solle. Mein Herz klopft aufgeregt, meine Finger sind schweißnass – ebenso wie ganz andere Stellen.

Martin steigt aus, schaut sich um. Als er niemanden sieht, macht er die Hecktüren auf, was ich im Seitenspiegel sehe. Und dann geht das Geschrei plötzlich los. Da hinter der Sitzreihe eine Wand ist, kann ich nichts sehen, weswegen ich aus dem Wagen steige. Langsam gehe ich nach hinten.

Und dann kann ich meinen Augen nicht trauen. Martin liegt auf dem Rücken und der Entführte hat seine Hände um seinen Hals.

»Lass mich los«, röchelt er, krallt seine Finger in die des Mannes auf ihm.

Aber dieser sieht nicht so aus, als wollte er das tun. Obwohl seine Hände gefesselt sind, hat er ganz eindeutig die Oberhand.

Was soll ich tun?

»Hilf mir«, fleht mein Cousin, als sein Blick auf mich fällt.

Nach kurzem Zögern stürze ich mich in den Kampf. Ausgesprochen ineffektiv, muss ich erkennen, als ich an seinen Haaren ziehe und ihn kratze.

Aber das scheint den großen Mann nicht im Geringsten zu stören. Stattdessen würgt er Martin weiter. Mist. Was soll ich jetzt tun?

Ich brauche eine Waffe.

Das Einzige, was mir einfällt, ist meine ziemlich schwere Handtasche, weswegen ich sie aus der Fahrerkabine fische und ihm diese dann über den Kopf ziehe. Mit einem Ächzen geht er nieder. Da soll noch jemand sagen, dass all der Krempel in einer Tasche unnütz ist.

Ich wälze ihn von Martin, der schon blaue Lippen hat.

Tief atmet er ein, Tränen in den Augen. »Fuck«, keucht er leise.

Der andere regt sich. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Martin sieht nicht so aus, als könnte er noch klar denken – wobei man diskutieren könnte, ob er es jemals konnte. Ich schaue ihn genau an. Die schwarze Kapuze, die er beim Einsteigen aufhatte, ist nicht mehr zu sehen.

Das ist nicht der Bautyp.

»Wer ist das, Martin?«, frage ich.

Er sieht mich entgeistert an. »Na, der Typ, der unsere Häuser abreißen will.

»Nein, das ist er nicht. Ist dir nicht aufgefallen, dass dieser hier mindestens einen Kopf größer ist?«

Er sieht zu ihm. »Wirklich? Ich dachte, das ist er. Wer ist er dann?«

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber wir sollten vielleicht einfach verschwinden.«

»Und er?«

»Er kann nach Hause laufen.«

»Aber …«

»Martin, das war doch eh eine Schnapsidee. Nicht? Wir haben jetzt die Chance, relativ unbeschadet aus der Sache herauszukommen.«

Langsam nickt er. »Aber wenn er die Polizei ruft?«

»Daran hättest du vor dieser ganzen absurden Sache denken können! Es ist doch wohl klar, dass ein Entführungsopfer die Polizei ruft.«

»Aber er hat mich gesehen«, jammert er.

»Auch das hättest du bedenken können.«

»Wir müssen … ihn beseitigen.«

»Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren? Das tun wir nicht.«

Mein Blick fällt auf den Mann am Boden. Ich betrachte sein gut aussehendes Gesicht, das mir irgendwie bekannt vorkommt. Wo habe ich ihn schon mal gesehen? Da sah er noch anders aus. Jünger irgendwie.

Keine Ahnung. Aber ich kenne ihn.

Seine Augenlider flattern, weswegen wir jetzt wegmüssen. Und zwar sofort.

»Steh auf.«

Ich beuge mich zu meiner Handtasche.

»Was?«

»Ich fahr jetzt. Entweder du kommst mit oder du lässt es.«

Ich marschiere zur Fahrerkabine, steige ein, drehe den Schlüssel. Bevor ich losfahren kann, springt Martin hinein. So ein verdammter Trottel. Wieso musste er mich mit reinziehen?

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