Leseprobe: Lipstick & Kilts
Es ist soweit! Der erste Teil meiner neuen Reihe Lipstick & Kilts ist erschienen! Hier kannst du den Roman auch schon bestellen.
Hier hab ich den Klappentext für dich:
Wenn aus Liebe Hass wird, hat man dann noch eine zweite Chance?
Ich bin eine Schande. Das ist seit zehn Jahren meine Wahrheit. Eine Wahrheit, mit der ich zu leben gelernt habe. Als Strafe habe ich Edinburgh, meine Familie und meine Freunde verlassen, bin nach London gezogen und habe als Anwalt Karriere gemacht. Es ist genau der richtige Job für mich, denn als Anwalt braucht man kein Herz.Mein Herz … Nun ja, das ist in Edinburgh geblieben und ich hätte niemals gedacht, dass sie mich hassen könnte. Sie ist Ailsa McGowan, die Frau, die mir auch nach zehn Jahren immer noch den Verstand raubt. Dabei wollte ich doch eigentlich nie wieder an sie denken. Aber dann bringt mich ein Schicksalsschlag zurück nach Hause und vor ihre Tür …
Und dann auch noch eine Leseprobe des ersten Kapitels. Viel Spaß damit!
Arran
Ich schaue auf die Uhr. Es ist schon fast acht. In einer Viertelstunde bin ich mit meinem Cousin Colin und seiner Verlobten Fiona verabredet, die zum Wochenendbesuch nach London gekommen sind. Seufzend packe ich meine Aktentasche ein. Eigentlich passt es mir gar nicht.
Als wir diesen Termin vor fünf Wochen abgesprochen haben, sah es noch so aus, als hätte ich ein bisschen Freizeit – ein Wort, das für mich eigentlich nicht existiert –, aber da wusste ich auch noch nicht, dass sich die Fusion länger hinziehen würde als gedacht. Nicht dass ich mich beschwere. Längerer Prozess bedeutet mehr abrechenbare Stunden, somit also mehr Geld für meine Kanzlei.
Ich kann nicht verhehlen, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, als ich mein Büro so früh verlasse. Aber ich kann die Verabredung auch nicht absagen, denn Colin würde das seiner Mum erzählen, die dann meiner Schwester, und irgendwann würde es bei Nana landen, die furchtbar beschämt von meinen schlechten Manieren wäre.
Und das wäre etwas, das ich nicht ertragen könnte. Zwar war ich schon drei Jahre nicht mehr zu Hause, aber meine Großmutter will ich trotzdem nicht enttäuschen. Zumindest nicht mehr, als ich es sowieso schon tue.
Ich seufze. Nein, für mich gibt es keine andere Möglichkeit, als Colin in dem Restaurant in Notting Hill zu treffen, das seine Verlobte sich ausgesucht hat. Allerdings werde ich zu spät kommen. Noch einmal seufze ich, als ich in das Towncar steige, das meine Kanzlei mir zur Verfügung stellt, damit ich immer von A nach B komme und keine Zeit mit der Parkplatzsuche verschwenden muss.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, schreibe Colin, dass ich auf dem Weg bin und sie schon mal bestellen sollen, bevor ich eine Akte hervorhole, in der mein Assistent Jonathan mir die wichtigsten Erkenntnisse mit kleinen blauen Fähnchen markiert hat. Mit einem letzten Blick auf den Verkehr in meiner Wahlheimat vertiefe ich mich in den Unternehmensbericht.
* * *
Es ist gut, wenn die ganze Familie weiß, dass man ein furchtbarer Workaholic ist, denn dann sind sie nicht zu überrascht, wenn man ein Treffen abkürzt, weil man noch arbeiten will. Um zehn Uhr lasse ich mich wieder ins Büro bringen, setze mich an den Schreibtisch.
Ich genieße diese Stunden, in denen niemand auch nur im Entferntesten ans Arbeiten denkt, denn dann werde ich nicht durch Fragen, Anrufe und E-Mails unterbrochen, in denen doch meist belanglose Dinge stehen. Mit einem Single Malt aus meinem persönlichen Fundus arbeite ich den Unternehmensbericht durch und schreibe eine E-Mail mit Anweisungen an meinen Assistenten, die er – Gott sei Dank – nicht sofort beantwortet. Auch wenn ich selbst viel arbeite, will ich kein Sklaventreiber sein, der dasselbe Pensum auch von seinen Mitarbeitern erwartet.
Mit einem weiteren Glas stelle ich mich um zwei Uhr ans Fenster, schaue über die funkelnde Skyline. Man sagt, New York sei die Stadt, die niemals schläft, aber ich schätze, das kann jede Metropole von sich behaupten. Vor allem, wenn es sich um einen Top-Finanz-Standort wie London handelt, schließlich sind die Börsen in anderen Teilen der Welt aktiv, während hier die Lichter ausgehen.
Mit schlechtem Gewissen steige ich in das Towncar, beruhige mich aber damit, dass ich dem Chauffeur ein großzügiges Trinkgeld gebe.
»Brauchen Sie mich heute noch, Mr. Buchanan?«, fragt er, als er mich an meinem Penthouse abgesetzt hat.
Diese Frage spricht wahrlich Bände über meinen Ruf. »Nein. Sorry, dass es so spät wurde.«
»Kein Problem. Gute Nacht.«
Ich verabschiede mich, bevor ich den Code an der Tür eingebe und mit dem Aufzug nach oben fahre. Halb drei. Nach einer kurzen Dusche stelle ich den Wecker auf sechs Uhr und gehe ins Bett. Allerdings bin ich nicht nur ein Workaholic, sondern auch von Schlaflosigkeit geplagt, weswegen ich mich noch hin- und herwälze, bevor ich irgendwann doch noch in einen leichten Schlummer falle.
Ailsa
»Oh, guten Morgen«, sage ich, als ich gerade meine kleine Wohnung abschließe und meine Nachbarin aus ihrer Tür tritt.
»Guten Morgen, Ailsa«, antwortet sie lächelnd.
»Wie geht es Ihnen?« Schnell stecke ich den Schlüssel in die Handtasche, zwinge mich, nicht auf die Uhr zu schauen. Eigentlich habe ich keine Zeit zu verschenken, aber für Mrs. Buchanan nehme ich sie mir doch.
»Sehr gut, danke. Kommen Sie später vorbei?«
»Ja, genau. So um sieben bin ich bei Ihnen. Soll ich etwas mitbringen?«
»Vielleicht ein paar Kartoffeln und ein Stückchen Braten.«
»Das haben Sie noch im Kühlschrank. Ich gehe morgen wieder für Sie einkaufen, am Donnerstag.«
»Oh, natürlich. Wo habe ich nur meinen Kopf?« Sie sieht mich entschuldigend an.
»Kein Problem, Mrs. Buchanan. Dafür bin ich ja da.« Ich lächele sie an. »Soll ich Ihnen noch die Zeitung raufbringen?«
Sie verneint. »Sie müssen bestimmt los. Auch wenn ich das schon oft gesagt habe, aber Sie arbeiten zu viel. Viel zu viel.«
»Ach was. Das geht schon. Aber Sie haben recht. Ich muss los. Bis heute Abend!«
Ich eile die Treppe hinunter, schwinge mich in den kleinen Fiat, den ich mein Eigen nenne, bete wie jeden Morgen, dass er anspringt, habe Glück und fahre viel zu schnell die hügeligen Straßen von Edinburgh entlang. Meine Mum sagt immer, dass es gut ist, dass ich keinen Sportwagen habe, denn dann würde mein Gehalt nur für Strafzettel draufgehen.
Es dauert nicht lange, bis ich bei meinem ersten Kunden des Tages ankomme. Ich bin keine Pflegerin, aber auch keine gerichtlich bestellte Betreuerin, sondern einfach eine Alltagshilfe, die einkaufen geht, darauf achtet, dass genug gegessen wird, oder auch mal eine Runde Rummy spielt. Meine Kunden sind ältere Menschen, die noch allein leben, aber ein bisschen Unterstützung brauchen. Entweder weil sie es selbst nicht mehr können oder weil sie einsam sind und sich Gesellschaft wünschen.
Mit jeder betreuten Person habe ich unterschiedliche Vereinbarungen, um sie bestmöglich zu versorgen. Mit Mr. McDougal zum Beispiel mache ich Frühstück, bevor wir eine kleine Runde spazieren und ich ihm sein Mittagessen richte. Nachmittags kommt seine Tochter von der Arbeit, da braucht er meine Hilfe nicht. Aber die Vormittage können lang für ihn sein.
Eine andere Klientin ist Mrs. O’Dea, die als junges Mädchen aus Irland nach Edinburgh gekommen ist. Mit ihr koche ich ein spätes Mittagessen, lese ihr aus der Zeitung vor, bevor sie sich zum Mittagsschlaf hinlegt. Zwischen den beiden Terminen muss ich mich beeilen, aber es klappt, weil sie nah beieinander wohnen. Allerdings kann Mrs. O’Dea schon mal grummeln, wenn ich ein paar Minuten zu spät komme.
Mrs. Peabody braucht keine Hilfe im Haus, aber wir gehen jeden Tag zusammen zu dem kleinen See in der Nähe ihrer Wohnung. Durch ihre Gehbehinderung traut sie sich nicht allein zu spazieren, weil sie Angst hat, im Notfall auf Fremde angewiesen zu sein. Bevor sie mich gefunden hat, war sie fast drei Jahre nur drinnen. Wenn ich sehe, mit welchem Vergnügen sie in der Natur ist, betrachte ich es als glücklichen Zufall, dass sie auf meine Anzeige gestoßen ist. Das sind mir die liebsten Kunden. Die, bei denen ich wirklich etwas bewirke, weil sie niemanden haben, der sich sonst kümmern kann.
Mrs. Peabody hat auch einen Pflegedienst, Essen auf Rädern und ihre Nachbarin kauft für sie ein, aber bei aller Betreuung fehlte ihr jemand, der mit ihr spazieren gehen kann. Da komme ich ins Spiel.
Ich liebe meine Arbeit, freue mich über all die verschiedenen Menschen, die ich eine Zeit lang begleiten darf. Zu sehen, dass ich ihr Leben bereichere, macht mein eigenes besser. In einer immer schnelllebiger werdenden Welt genieße ich, dass wir nur beisammen sind, ohne Leistungsgedanken, ohne Druck. Einfach nur, um ihnen den Alltag ein wenig angenehmer zu gestalten.
Allerdings habe ich nie so viel Zeit, wie ich gern hätte. Denn die Firma, für die ich arbeite, will Geld verdienen. Und ich natürlich auch. Von Luft und Liebe kann ich leider nicht leben.
Mrs. Buchanan allerdings, also meiner Nachbarin, helfe ich, weil ich zufällig neben ihr eingezogen bin. Ich wusste nicht, wer sie ist, als ich vor zwei Jahren in das Haus gezogen bin, wusste nicht, dass sie …
Ich schüttele den Kopf. Nein, darüber denke ich jetzt nicht nach. Jedes Mal, wenn ich es tue, fehlt mir ein kleiner Funken Energie, der zuvor noch da war. Vielleicht sollte ich mir doch ein anderes Zuhause suchen, aber ich kann sie nicht im Stich lassen. Sie verlässt sich auf mich.
Ich parke den Wagen vor Mr. McDougals Haus, klingele an der Tür. Schon bevor er diese öffnet, setze ich ein strahlendes Lächeln auf.
»Ach, Lassie, da sind Sie ja«, sagt er wie jeden Morgen mit einem Hauch Überraschung, als hätte er mich gar nicht erwartet.
»Guten Morgen, Mr. Mac«, antworte ich freundlich und trete ein. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Ganz gut, ganz gut. Sie wissen schon. Das Alter. Aber ich kann mich nicht beklagen.«
Die meisten alten Menschen, die ich kenne, können auf diese Frage nicht mehr positiv antworten. Es ist, als würden sie sich nur noch auf die negativen Dinge konzentrieren. Vielleicht ist es auch einfach, dass einfach nichts mehr so ist, wie es mal war, und sie dem hinterhertrauern. Wie sagt man? Altwerden ist nichts für Feiglinge.
»Worauf haben Sie denn heute Lust?«, frage ich, während ich schon die Haferflocken für sein Porridge aus dem Schrank nehme. Wie er mir schon mehrmals erzählt hat, hat er vor fünfzig Jahren angefangen, dieses Frühstück zu essen, und wird nicht mehr damit aufhören.
»Da nehmen Sie schon das Richtige raus.« Er geht an den Kühlschrank und holt die Milch heraus. Er mag es simpel. Haferflocken mit Milch und Zucker.
Anfangs hatte ich versucht, ihn davon zu überzeugen, ein bisschen Obst dazu zu schnippeln, aber er sei Purist, teilte er mir mit. Und dann habe ich mir gedacht, mit fünfundachtzig muss man seine Gewohnheiten auch nicht mehr unbedingt ändern. Wenn man mit Haferflocken, Milch und Zucker so alt wird, macht man wohl alles richtig.
Während das Porridge auf kleiner Flamme köchelt, wische ich einmal die Arbeitsplatte ab, bevor ich ihm seine Schale richte. Haferbrei hinein, Milchsee aufschütten und Zucker drüberstreuen.
»Das sieht lecker aus«, sagt er, als er zum Löffel greift. »Danke.«
Während er isst, schlage ich die Zeitung auf und lese ihm alle News aus Edinburgh vor. Was in der Welt geschieht, interessiert ihn nicht, aber was vor der Haustür passiert dafür umso mehr. Auch das ist ein Ritual, das er keinen einzigen Morgen verpasst. Samstags und sonntags liest seine Tochter ihm vor.
Nach unserem Spaziergang bereite ich Mittagessen für ihn vor. Er hilft gerne dabei. Kartoffeln schälen oder Zwiebeln klein schneiden, weil er das auch immer mit seiner Frau, die vor fünf Jahren gestorben ist, getan hat. Er mag seine Routinen.
Nachdem ich hier fertig bin, fahre ich kurz bei meiner Mum vorbei, die einen Apfelkuchen gebacken hat, den ich Mrs. Peabody versprochen habe. Sie hat morgen Geburtstag und ihre Freundinnen eingeladen, die sie beköstigen will. Aber so ein gekaufter Kuchen geht nicht, was sollen denn dann die Leute denken?
Nachdem ich alle für heute besucht habe, fahre ich nach Hause, klingele bei Mrs. Buchanan an. Normalerweise hört man schnell ihre schlurfenden Schritte, aber heute ist da nichts. Merkwürdig. Noch einmal klingele ich, bevor ich anfange, an die Tür zu klopfen.
»Mrs. Buchanan? Sind Sie da?«
Nichts. Besorgt drücke ich das Ohr gegen die Tür, kann aber keine Geräusche ausmachen.
Eilig ziehe ich mein Handy aus der Tasche, wähle ihre Nummer. Ich höre es schellen, aber niemand geht dran. Schnell suche ich nach der Nummer ihrer Enkelin Isla, tippe sie an, halte mir das Handy ans Ohr.
»Hallo?«, ertönt die nette Stimme. Ich habe Isla schon immer gemocht. Ihre Schwester Lucy ebenso. Auch wenn wir bis vor zwei Jahren keinen Kontakt mehr hatten.
»Hier ist Ailsa, die Nachbarin deiner Oma. Ist sie bei euch? Sie macht die Tür nicht auf.«
»Oje. Nein, sie ist nicht hier. Warst du drinnen?«
»Noch nicht. Ich wollte erst mal nachfragen, weil es doch ein ganz schöner Eingriff in die Privatsphäre ist«, gebe ich zu bedenken.
»Klar, aber dafür hast du ja einen Schlüssel. Vielleicht ist sie wieder gefallen?«
Vor drei Monaten ist sie von der Couch gerutscht und hat sich so ungünstig zwischen dieser und dem Tisch eingeklemmt, dass sie nicht mehr hochkam. Nach diesem Vorfall haben sie mir einen Schlüssel anvertraut, damit ich nach dem Rechten sehen kann.
Ich hole ihn aus meiner Handtasche. »Okay, dann schließe ich jetzt auf.«
»Alles klar. Bleibst du am Handy? Ich will hören, dass es ihr gut geht, sonst hab ich keine ruhige Minute.«
Das kann ich nur allzu gut verstehen. Ich klemme das Telefon zwischen Ohr und Schulter ein, denn man braucht beide Hände, um die alten Türen zu öffnen. Während man den Schlüssel dreht, muss man am Türknauf ziehen.
Ich öffne sie einen Spalt. »Hallo? Mrs. Buchanan? Sind Sie da?«
»Antwortet sie?«, fragt Isla.
»Bisher nicht.«
»Dann geh rein«, treibt sie mich an.
Zögernd betrete ich die Wohnung, die mir so bekannt ist wie meine eigene. Ich gehe an der kleinen Kommode im Flur vorbei, wo sie immer ihre Handtasche platziert. Da diese jetzt auch dasteht, zieht sich mein Herz zusammen. Oje.
Ich werfe einen Blick in die Küche, gehe dann am Schlafzimmer vorbei, dessen Tür offen steht, bevor ich das Wohnzimmer betrete.
»Nein«, hauche ich, lasse alles fallen, was ich in den Händen habe, und laufe auf den reglosen Körper zu, der vor dem Fernseher liegt.
Ich werfe mich neben sie auf den alten Teppich, rüttele an ihrer Schulter. »Mrs. Buchanan?« Aber sie sagt keinen Pieps.
Nein. Nein. Nein. Das darf doch nicht sein. Ich taste nach einem Puls, den ich nicht fühle. Ihr Körper ist kalt, oh, so kalt. Nein. Tränen treten mir in die Augen. Ich springe auf, wische sie hastig ab, greife nach dem Festnetztelefon, um den Rettungsdienst zu rufen, auch wenn ich weiß, dass es dafür schon zu spät ist.
Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten. Erste-Hilfe-Maßnahmen sind überflüssig. Mrs. Buchanan hat nicht überlebt.
Es klingelt an der Tür. Ich lasse die Sanitäter rein, die nur noch den Tod feststellen können. Gerade als sie die Leiche auf die Trage hieven, stürzt Isla in die Wohnung. Mit wildem Blick findet sie mich, bevor sie auf ihre leblose Großmutter schaut. Der Leichensack wird in diesem Augenblick geschlossen.
»Isla«, flüstere ich.
Ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie schlägt die Hand vor den Mund. Ich trete zu ihr, lege meinen Arm um ihre Schulter. Eigentlich sind wir nicht so eng, aber in diesem Moment ist es keine Frage, ob sich das schickt oder was auch immer.
Sie klammert sich an mich. »Du hast nichts mehr gesagt«, flüstert sie. »Ich konnte nichts mehr hören.«
Erst jetzt geht mir auf, dass ich mein Handy einfach fallen gelassen habe. »Tut mir leid. Ich war so … ich hab geschaut, ob ich noch helfen kann. Und dann hab ich mein Handy einfach vergessen.«
»Was ist passiert?«
Ich zucke hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es könnte ein Herzinfarkt sein.«
»O Gott. Was … was sollen wir denn jetzt machen?«
Ich weiß, dass sie das globaler meint, nicht spezifisch. Ihr Vater ist schon vor einiger Zeit gestorben, ihre Mutter vor etwa zehn Jahren. Klar, alle drei Geschwister sind erwachsen, aber das ändert nichts daran, dass ihre Nana, so nennen sie sie, ihre wichtigste Bezugsperson gewesen ist.
»Du solltest Lucy und … na ja, du solltest Lucy Bescheid geben.«
»Ja, natürlich.« Sie starrt auf den schwarzen Sack, in dem die Leiche ihrer Oma liegt. »Er wird das nicht verkraften.«
Ich weiß, wen sie meint, aber beschließe, das einfach zu ignorieren. Er gehört nicht mehr zu meinem Leben.
Uns wird gesagt, wo sie Mrs. Buchanan hinbringen, aber Isla sieht nicht so aus, als könnte sie das alles aufnehmen. Deswegen merke ich es mir. Habe so das Gefühl, wenigstens ein wenig nützlich zu sein.
»Was machen wir mit der Wohnung?«, fragt Isla.
»Das ist nichts, was ihr jetzt entscheiden müsst. Einen Schritt nach dem anderen.«
»Richtig.«
Ich hebe meinen Kram auf, verlasse dann mit ihr gemeinsam das Wohnzimmer, schließe hinter uns ab. Es erscheint mir unsensibel, sie jetzt allein zu lassen, weswegen ich sie nach unten begleite.
Ihre Hände zittern, ihre Augen sind rot. Sie steuert auf ihr Auto zu, nur um dann davor stehen zu bleiben, als hätte sie vergessen, was man damit macht.
Besorgt trete ich zu ihr, nehme ihr den Schlüssel aus der Hand, dirigiere sie sanft zum Beifahrersitz.
Auf dem Weg zu ihr sind wir beide still. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Und ihr steht nicht der Sinn nach Reden. Wahrscheinlich hat sie noch nicht richtig realisiert, was passiert ist. Würde mir auch so gehen.
Geht mir auch so, wenn ich ehrlich bin.
Klar, irgendwie muss man bei alten Menschen immer damit rechnen, dass was passieren könnte, gleichzeitig will man es aber auch nicht erwarten. Man darf es auch nicht, denke ich. Sonst hat man zu viel Angst, noch wirklich zu leben.
Ich halte vor ihrem Haus. Wie in Trance steigt Isla aus dem Wagen. Sofort wird die Haustür aufgerissen und ihr Mann kommt raus.
»Was ist passiert?«, fragt er sie besorgt, wirft dabei einen Blick auf mich, überrascht, mich zu sehen. Noch dazu auf der Fahrerseite des Wagens.
»Sie ist tot«, haucht sie und wirft sich in seine Arme.
Erschrocken fängt er sie auf. »Oh, Honey, das tut mir so unendlich leid.« Erneut suchen seine Augen nach mir. Ich zucke mit den Schultern, trete zu ihnen, lege Isla kurz die Hand auf den Arm. »Es tut mir so unendlich leid.«
Aber es ist nicht mein Trost, den sie braucht.
Ich gebe ihrem Mann die Schlüssel, bevor ich mich verabschiede. Auf dem Weg zum Bus überlege ich, ob ich mir ein Taxi leisten soll, entscheide mich dann aber dagegen. Es tut mir bestimmt gut, noch ein paar Schritte zu gehen. Vielleicht bekomme ich dadurch den Kopf frei. Oder was passiert ist, sinkt ein. Denn momentan fühlt es sich noch so unwirklich an.
Was sagst du? Freust du dich schon auf meinen neuen Roman?
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Ich freue mich schon auf dieses Buch, die Leseprobe hat mir sehr gut gefallen.