Zane (Gemeinschaftsprojekt)

LIL

Leise fluchend schob ich die letzten Glasscherben zusammen, um sie mit dem Kehrblech aufnehmen zu können. Ein ganz normaler Morgen in meiner Bar. Aber es war kein normaler Abend. Die Klientel konnte immer ein wenig rowdyhaft sein, aber am Vorabend hatten sie sich beinahe übertroffen. Vielleicht sollte ich zukünftig an Footballabenden die Türen geschlossen halten. Andererseits waren das die Tage mit den meisten Einnahmen, obwohl sie die Spiele hier nicht schauen konnten.

Ich seufzte, bückte mich, hob die Schaufel auf, schüttete den Inhalt in den Mülleimer. Aufräumen hatte noch nie zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Das hatte sich in den letzten fünf Jahren, seit ich die Bar betrieb, auch nicht geändert.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Genervt ging ich zur Vordertür, machte sie einen Spalt auf.

»Ja?«, fragte ich, als ich einen Officer dort stehen sah.

»Guten Morgen, Ma’am. In der letzten Nacht wurde in ein paar Gebäude in dieser Straße eingebrochen, da wollte ich nachfragen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist.« 

Er lächelte mich an.

»Kann ich mal Ihre Marke sehen?« 

Als Mädchen aus der Kleinstadt hätte ich es nie für möglich gehalten, so einen Satz jemals zu sagen. Zu Hause kannte jeder Sheriff Palmer, und er kannte jeden. Aber hier, in Atlantic City, musste man aufpassen. Vielleicht geschah hier nicht jede Sekunde ein Verbrechen, aber wo viel Geld war, gab es auch viele dunkle Seiten.

»Natürlich, Ma’am.« 

Er hielt mir seine Marke entgegen. Zumindest Officer und Atlantic City konnte ich erkennen. Vielleicht war es doch Zeit für eine Brille, auf die ich aus Eitelkeit verzichtete. Irgendwie passte eine Brille nicht zu dem Bild, das ich als toughe Barbesitzerin von mir hatte. 

»Ich bin Officer Sean Black.«

»Hm, okay.«

»Darf ich kurz reinkommen?«

Ein wenig unschlüssig biss ich mir auf die Wangentasche, bevor ich die Tür öffnete und ihn ein wenig skeptisch hereinließ. Er tippte sich an die Mütze, bevor er sich umsah. 

»Es wurde in mindestens drei Geschäfte eingebrochen. Daher klappern wir die restlichen Läden ab, um zu checken, ob dort auch etwas fehlt, und um zu fragen, ob es Sicherheitskameras gibt, die eventuell etwas aufgezeichnet haben.« 

Er sah mich auffordernd an. Seine Augen waren so blau, dass ich einen Moment überlegte, ob er Kontaktlinsen trug. So ein Blau hatte ich noch nie gesehen.

»Ähm, die Kameras vorn sind nur Attrappe. Ich kann es mir nicht leisten, sie anzuschließen.«

»Haben Sie noch weitere Kameras? Hinten vielleicht?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das System ist echt teuer.«

»Verstehe, Ma’am. Haben Sie denn etwas bemerkt? Wann haben Sie gestern zugemacht?«

»Um vier Uhr hab ich die Türen geschlossen. Wann wurde denn eingebrochen?«

»Das versuchen wir noch zu ermitteln. Ihnen ist beim Schließen nichts Ungewöhnliches aufgefallen?«

Ich lachte auf. »Wir sind hier in Atlantic City. Ungewöhnliches passiert hier am laufenden Band.«

Er verkniff sich ein kleines Lächeln. »Auch wieder wahr. Hier würde man sich eher Sorgen machen, wenn mal nichts passiert.«

»Eben. Also, mir ist nichts aufgefallen. Auch hier im Laden nicht. Aber ehrlich … Wer würde in diese abgerockte Bar einbrechen? Jeder weiß, dass in Henry’s Old Bar nichts zu holen ist.«

»Falls Sie sich noch an irgendwas erinnern, rufen Sie auf dem Revier an.«

»Mach ich.«

Als der Polizist gegangen war, starrte ich einen Moment in die Luft, bevor ich mich weiter dem Putzen widmete. Mit einem beinahe lautlosen Ächzen machte ich mich ans Werk und wünschte mir, dass ich mir doch eine Reinigungskraft leisten könnte. Aber so war es meine eigene Knochenarbeit. Immer und jeden Tag.

Das hatte ich mir auch nicht vorstellen können, als ich die Bar übernommen hatte. Aufgewachsen in einer Kleinstadt und eigentlich auch ganz glücklich da, hätte ich nie im Leben gedacht, dass ich mal in die Stadt ziehen würde, die die Originalversion von Monopoly inspiriert hatte. Und dazu noch eine Bar – eine Bar! – auf einer der Straßen des Spiels haben würde. Der New York Avenue. Nur einen Steinwurf vom Boardwalk entfernt.

Bevor ich mich in meinen Gedanken verlieren konnte, stellte ich lieber die Hocker auf die Tische, um durchwischen zu können. Erinnerungen nützten keinem was. Schon gar nicht, wenn man sich in ihnen verhedderte und es eine Ewigkeit dauern würde, den Weg hinauszufinden. Nein, ich musste im Hier und Jetzt bleiben. Auch fünf Jahre später schmerzte … Nein, nicht darüber nachdenken. Das machte es einfach nur schwer.

Aber das Gehirn tat immer, was es wollte. Da half nur eins. Laute Musik. So laut, dass man nicht mehr denken konnte. 

Ich ging zur Anlage hinüber, drückte auf Play und ließ mir dann die Ohren von der harten Rockmusik wegpusten.

Noch ein Gutes hatte Musik: Man musste einfach mittanzen und mein einziger Partner war der Wischmopp. Das Putzen wurde so zur Kleinigkeit. Win-win.

»Da bist du ja«, begrüßte mich meine Mitbewohnerin-Schrägstrich-beste-Freundin-Schrägstrich-totale-Nervensäge fröhlich, als ich am frühen Nachmittag die Tür zu unserem kleinen Haus aufschloss.

Ich ließ Schlüssel und Handtasche auf den Boden fallen, schlüpfte aus meinen Sneakern, bevor ich mich auf die Couch warf, als wäre ich achtzig und nicht in der Blüte meines Lebens. »Ich hab zwei Stunden«, gab ich zurück, während ich eines der Kissen in Form boxte, um mich entspannt hinzulegen.

»Und die willst du schlafend verbringen?« 

Das Lachen in Alyssas Stimme versetzte mich normalerweise immer in gute Laune, aber heute war ich nach meinem Vormittagsputzdienst zu kaputt, um darauf einzugehen.

»Am liebsten.«

»Hey, ich weiß, wir hatten das Thema schon tausendmal …«

»Nicht schon wieder«, murmelte ich, legte mir den Unterarm über die Augen.

»Hast du was gesagt?«

»Nein, nein«, beeilte ich mich zu sagen.

»Du bist mir wichtig, daher mach ich mir Sorgen.«

Ich merkte, wie sie zu mir trat, öffnete ein Auge, blinzelte sie an. »Ich weiß, aber ich kann es grad nicht ändern.«

Sie schob meine Beine zur Seite, setze sich. »Du könntest wenigstens das Putzen jemand anderem überlassen. Du musst nicht alles allein machen.«

»Ich kann mir das nicht leisten. Das weißt du.«

»Ich weiß, dass die Bar nicht genug abwirft. Sie ist zwar gut gelegen, aber so unscheinbar, dass sie neben der Glitzerwelt nicht auffällt.«

»Du hast es auf den Punkt gebracht.«

»Dann musst du das eben ändern.«

Ich seufzte. »Wie soll ich das ändern? Soll ich die Bar pink anmalen?«

»Zum Beispiel.«

»Aly, ich weiß, du meinst es gut. Wirklich. Aber ich hab kein Geld, um die Bar zu renovieren.«

»Und wenn du daraus eine Aktion machst? Keine Ahnung, jeder, der hilft, bekommt einen Monat lang Freibier? Oder meinetwegen zehn Freibier. Ich hab keine Ahnung, wie viel das kostet.« Sie lachte auf, während sie meine Beine tätschelte.

»Hm, keine schlechte Idee.« 

Und das stimmte. Wir mussten regelmäßig Bier wegschütten, da wir viel zu viel davon kauften, weil es nichts Schlimmeres gab, als den Gästen zu sagen, dass keines mehr da war. Das würde also nicht ins Gewicht fallen. 

»Wie soll ich die finden?«

»Craigslist. Oder du rufst das einfach mal abends durch den Laden. Jeder, der am nächsten Tag zum Streichen kommt, trinkt umsonst.«

»Und wenn es dann zu viele werden?«

»Dann sagst du, die ersten zehn oder zwanzig, die kommen …« Sie schüttelte den Kopf. »Hey, das ist eine gute Idee, und du weißt das. Ich versteh nicht, wieso du jetzt versuchst, das Haar in der Suppe zu finden.«

Ich seufzte. »Du hast recht. Es ist eine tolle Idee. Danke.«

»Aber vielleicht nicht pink.«

»Bitte?«

»Du solltest es nicht pink streichen, sonst musst du es die Henrys pinke Bar nennen, nicht mehr die alte.«

Ich lachte auf, aber ich war selbst dazu zu kaputt. »Da findet sich bestimmt was.«

Sie drehte sich um, sah auf die Küchenuhr. »Ich muss jetzt auch los. Meine Schicht geht gleich los.« Alyssa stand auf, beugte sich zu mir runter, küsste meine Wange. »Ich stell dir den Wecker.«

»Du bist die Beste.«

»Ich weiß.« 

Lachend wuselte sie noch ein paar Minuten durch die Gegend, aber ich bekam das gar nicht so richtig mit, war schon fast in Morpheus’ Armen verschwunden.

»Hey, Lil!«, rief einer meiner Stammkunden, als er mit einem Kumpel an der Bar auftauchte. »Ist heute der Tag, an dem du mich zum glücklichsten Mann der Welt machst?«

Ich lachte fröhlich auf. »Wenn das bedeutet, dass ich einen Shot mit dir trinke, dann ja.«

»Du weißt genau, dass ich das nicht meine.« 

Er schaute ziemlich bedröppelt drein.

»Du kannst nur das meinen, weil ich dir schon dreitausend Mal gesagt hab, dass ich nicht der Typ zum Heiraten bin«, scherzte ich, was seinen Kumpel zum Lachen brachte.

»Ich dachte, du hättest dich in den letzten Jahren weiterentwickelt«, gab Jason zurück.

Lachend schüttelte ich den Kopf, stellte ein frisches Bier vor ihn hin. »Alte Hunde lernen doch keine neuen Tricks mehr.«

Er schnaubte. »Alt. Wenn du eins nicht bist, dann alt.«

Ich zwinkerte ihm zu. »Nur äußerlich nicht. Innerlich bin ich achtzig und esse am liebsten Snickerdoodles.«

Er grinste. »Ah, das ist also der Weg zu deinem Herzen. Snickerdoodles.«

Ich beugte mich vor, tat, als würde ich ihm verschwörerisch etwas zuflüstern. »Ich sag es dir. Damit bekommt man mich auch vor den Altar.« Als ich mich lachend wieder aufrichtete, fügte ich hinzu: »Allerdings müssen sie selbst gebacken sein.«

Er verzog das Gesicht. »Für dich tu ich alles, Lil.«

Grinsend antwortete ich: »Dann zeig mal, was du kannst.«

Sein Kumpel klopfte ihm auf die Schulter. »Ich bin gern dein Vorkoster. Schließlich willst du deine Herzdame nicht vergiften.«

»Stimmt. Bei dir wäre mir das egal.« 

Er grinste ihn an, bevor sie ihr Bier tranken.

Ich schüttelte amüsiert den Kopf, als ich zum nächsten Gast ging, um auch diesen mit Getränken zu versorgen. Jason war ein Quatschkopf. Seit ich das erste Mal in der Bar aufgetaucht war, hatte er mir Avancen gemacht. Halb ernst. Zumindest nahm ich das an, schließlich war er mindestens doppelt so alt wie ich. Auch wenn mir das Alter nicht so wichtig war, war es doch etwas anderes, wenn er meiner inneren Achtzigjährigen näher war als meinem biologischen Alter.

Ich nickte einem anderen Stammgast zu. »Noch eins?«

»Noch eins, aber ich muss pissen.«

»Mach das, aber nicht hier in der Bar, der Gestank bleibt ewig.« 

Ich grinste in die Runde. Es fiel mir leicht, die fröhliche, toughe Bardame zu geben. Nie im Leben hätte ich das gedacht, als ich aus dem mittleren Westen hierhergekommen war.

Nein, nein, nicht dran denken. Ich war jetzt Lil. Die kesse Barkeeperin, die immer einen Spruch auf den Lippen hatte und ihren Stammgästen den Kopf verdrehte. Die selbstbewusst und stark war, die alles schaffte, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte.

»Das war doch nur einmal«, verteidigte er sich.

»Einmal ist einmal zu viel. Das stank wie ein Iltis.«

»Ach menno, Lil. Das wirst du mir jetzt für immer vorhalten, oder?«

»Auf jeden Fall.« Ich stellte ihm ein anderes Bier vor die Nase, sammelte den Schein ein, den er mir reichte. »Und jetzt ab mit dir. Du weißt, wo die Klos sind.«

Es war einer meiner Anfangsfehler gewesen, die Kundschaft einen Deckel führen zu lassen. Viel zu viele waren abgehauen, ohne zu bezahlen. Das war ein Verlustgeschäft sondergleichen gewesen. Schnell war ich dazu übergegangen, immer sofort zu kassieren. Nur Bares ist Wahres.

Das wäre wahrscheinlich einer der Tipps gewesen, die mir Onkel Henry mit auf den Weg gegeben hätte. Aber leider hatte ich ihn nie wirklich kennengelernt. Er war der Besitzer von Henry’s Old Bar gewesen, hatte sie aufgebaut und jahrelang betrieben. Als er gestorben war, hatte er sie mir vermacht, seiner einzigen Nichte, die er das letzte Mal mit zwölf gesehen hatte.

Seufzend zapfte ich das nächste Bier, füllte Whiskey in Gläser, kassierte ab, scherzte mit allen, genoss das Gewusel um mich herum. Die brave Lil aus Fredonia, Kansas. Wer hätte das je gedacht?

Als plötzlich das Klirren von Glas ertönte, drehte ich mich um, innerlich schon auf die nächste Schlägerei gefasst, aber nein, es war nur Lydia, die eine Flasche fallen gelassen hatte. Sie blickte mich entschuldigend an, während sie die Scherben aufsammelte.

Ich seufzte. Es war nicht schlimm, wenn mal was runterfiel, aber bei Lydia passierte das am laufenden Band. Die Kleine, so nett sie auch war, war einfach keine gute Kellnerin. 

»Schon gut«, sagte ich beruhigend lächelnd, während ich mir eine mentale Notiz machte, dass ich mal mit ihr reden musste. Aber das schrieb ich ans Ende meiner ellenlangen To-do-Liste, die leider immer nur länger und niemals kürzer wurde.

»Hey, Lil, kann ich dich mal sprechen?«, fragte mich Tyson, ebenfalls ein Stammgast.

»Klar, was gibt’s?« 

Ich beugte mich ein wenig zu ihm. Auch wenn die Bar nicht unbedingt voll war, Musik und Lachen übertönte alles, weswegen man sich nur schreiend verständigen konnte, was den Lautstärkepegel nun auch nicht gerade drückte.

»Mein Kumpel Danny heiratet in zwei Wochen.«

»Danny? Der Rotschopf?«

»Genau der.«

»Armer Kerl«, erklärte ich grinsend.

Tyson lachte. »Das sag ich ihm auch schon die ganze Zeit.«

»Was ist mit Danny?«

»Er braucht einen Knaller-Junggesellenabschied.«

»Auf jeden Fall.« 

Noch war mir nicht bewusst, worauf er hinauswollte.

»Da er gern in die Bar kommt, dachte ich, es wäre cool, wenn wir hier was machen könnten.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Hier? Meinst du nicht, das Hooter’s wäre geeigneter?«

»Hey, ich hätte nichts dagegen, wenn ihr Mädels ein bisschen knappere Outfits anhättet.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust, im vollen Bewusstsein, dass meine Brüste fast aus dem tief ausgeschnittenen Shirt sprangen. »Ich sag doch, das Hooter’s wäre besser für euch.«

Wie Männer nun mal waren, starrte er fasziniert auf meine Oberweite. Ich schüttelte den Kopf, keine Ahnung, ob vor Amüsement oder Abscheu.

»Das hat schon Hooter’s-Qualität«, gab er von sich, während ihm seine beiden Kumpels johlend auf den Rücken schlugen.

»Alter, dir fallen fast die Augen raus!«

»Du sabberst«, fügte der andere hinzu.

»Das ist aber auch ein Anblick«, seufzte er, als hätte er noch nie ein Dekolleté gesehen.

Noch einmal schüttelte ich den Kopf, nahm die Arme runter. Unsere Dienstkleidung waren Jeans mit vernünftigen Schuhen und schwarze T-Shirts. Die konnten tief ausgeschnitten sein, meinetwegen bauchfrei, wenn die Mädels dadurch mehr Trinkgeld bekamen, war mir das recht, aber es war immer noch eine Bar und kein Stripclub. Und so sollte das auch bleiben.

Tyson erwachte aus seiner Tittentrance, schaute mich verlegen an. »Sorry. Die sind einfach prächtig.«

»Trotzdem sind das nicht meine Augen«, scherzte ich.

»Vielleicht, wenn du …«, begann einer seiner Kumpels.

»Sprich nicht weiter, wenn du hier noch bleiben willst.« Ich lachte auf, damit er merkte, dass ich es nicht ganz ernst meinte. Ich konnte es mir ganz sicher nicht leisten, Stammgäste zu vergraulen. »Also, was ist mit dem Junggesellenabschied?«

»Wir wollen ins Casino, in den Stripclub und alles. Aber wir würden auch gern herkommen, weil Danny den Laden mag.«

»Alles klar. Dann kommt vorbei. Wir haben sehr wahrscheinlich geöffnet.«

»Besser am Anfang oder am Ende?«

Grinsend antwortete ich: »Da ich euch Jungs kenne und nicht glaube, dass einer von euch am Ende einer durchzechten Nacht noch so fit ist, bin ich für anfangs.«

Die drei lachten auf. »Da kennst du uns echt!«, erklärte der mit den zu langen dunklen Haaren. Bestimmt hatte er mir auch mal seinen Namen genannt, aber ich konnte mir nicht alle merken.

»Kommt einfach vorbei.«

»Dann machen wir das so. Und falls du ’ne knappe Shorts tragen würdest, wäre uns das nicht unrecht.« 

Tyson schenkte mir, was er für ein flirtendes Lächeln hielt, aber da hatten wir wohl andere Ansichten. Ich fand das ganz und gar nicht sexy, aber natürlich spielte ich mit, zwinkerte ihm zu.

»Da würde noch eher die Hölle zufrieren«, rief ich aus und lachte.

Tyson verzog erst das Gesicht, als wäre er beleidigt – auch so ein Charakterzug, der Männer absolut nicht begehrenswert machte –, bevor er gutmütig schmunzelte. »Man kann es ja mal versuchen.«

»Kann man«, stimmte ich zu. »Noch ein Bier? Ich beug mich auch ein wenig über den Tresen.«

»Dann nehm ich auch noch eins«, erklärte sein Kumpel mit den langen Haaren.

»Ich auch.«

Grinsend machte ich mich daran, die drei Bier zu zapfen. Es war so einfach, hauptsächlich Männer als Kunden zu haben. Ein bisschen Brust und schon hatte man das Trinkgeld sicher. Aber ich achtete strikt darauf, dass sie nur guckten. Anfassen hatte Konsequenzen. Und ich war auch nicht der Typ, der viele Warnungen aussprach. Ein Strike und die Kerle waren draußen. Für immer.

Ich würde nie erlauben, dass meine Mädels von so ein paar besoffenen Kerlen belästigt wurden. Dafür hatte ich auch Duke, meinen Rausschmeißer, den ich mir eigentlich gar nicht leisten konnte, aber den ich mir eindeutig leisten musste.

»Bier ist alle«, verkündete Phoebe, die heute ebenfalls arbeitete. Eigentlich war für drei nicht genug zu tun, doch ich hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass wie durch ein Wunder ein Schwall an Gästen ankommen würde. Aber Abend für Abend blieb dieser Wunsch unerfüllt.

Ich stellte die Shotgläser auf die Theke, füllte sie mit Whiskey, bevor ich das Geld kassierte und den vier Mädels zunickte, die sie auf ex tranken, obwohl sie nicht aussahen, als könnten sie das harte Zeug ab. Aber ich hielt mich an Onkel Henrys Vision. Nur Bier und Whiskey, nichts für Weicheier.

Einen Moment wartete ich noch ab, sah, wie sie die Gesichter verzogen, und grinste, bevor ich das Fass rausholte und nach hinten trug. Leer wog es etwa zwölf Kilo, wenn da erst mal die fünfzig Liter Bier drin waren, war das eine ganz andere Geschichte, aber ich weigerte mich, anzuerkennen, dass es mir zu schwer war.

Ich öffnete die Tür zum Lagerraum, stellte das leere Fass ab, bevor ich die Sackkarre aus der Ecke nahm.

»Ist das nicht ein bisschen schwer für dich?«, fragte eine Stimme hinter mir.

Langsam drehte ich mich um, sah in der helleren Tür nur einen Umriss, aber er genügte, um mich zu alarmieren.

»Gäste haben hier hinten nichts zu suchen«, sagte ich in meinem besten Böse-Lil-Tonfall.

Langsam kam er auf mich zu. Das war das Problem mit so vielen Kerlen. Sie hörten einfach nicht zu, dachten, dass für sie andere Regeln galten. 

»Ich bin ein Gentleman und wollte meine Hilfe anbieten.« 

Als er ins Schummerlicht des Lagers trat, sah ich sein Lächeln, das eher dem eines Haifischs glich.

Ich lachte spöttisch auf. »Bist du der letzte Gentleman von A.C.?«

»Kann sein.« 

Immer noch kam er näher, hatte etwas von einem Panther, der seinem Opfer nachstellte. Ganz und gar nicht vertrauenerweckend.

»Aber auch für Gentlemen gibt es Regeln. Keine Gäste im Lager.« 

Meine Stimme klang fest, gestählt in mehreren Jahren Kneipenerfahrung.

Er blieb vor mir stehen, sah mich kalkulierend an, bevor er die Hand hob, um … 

Keine Ahnung, denn so weit ließ ich es nicht kommen. Ich umfasste sein Handgelenk, starrte ihm in die Augen. Erst sah er missmutig aus, bevor er die Hände spöttisch hochnahm, meinen Griff geradezu leicht abstreifte. 

»Hey, ich tu dir doch nichts. Du bist aber schreckhaft.«

»Gut.« 

Ich ließ meinen Blick nicht von ihm, hoffte, dass es ihm bewies, dass ich nicht das kleine Opfer war, das er in mir sehen wollte. Aber offensichtlich war er schwer von Begriff, denn statt zu gehen, kam er noch näher. Bevor ich reagieren konnte, hatte er mein Gesicht umfasst, presste seinen ekeligen Mund auf meinen. Er roch nach Schweiß, Bier und Zigaretten, eine richtig ekelige Kombination. Seine schlabbrige Zunge leckte über mein Gesicht, versuchte, in meinen Mund einzudringen, aber so nicht.

Ich stemmte meine Arme gegen seine Schultern, bevor ich das Knie schnell anzog, sodass er zu Boden ging. Der Aufprall war heftig, weswegen er erst einmal gar nichts sagen konnte, sondern nur seine Weichteile umfasste, gekrümmt in Embryonalstellung dalag. Ich blieb stehen, befürchtete beinahe, dass er noch einmal aufspringen würde, aber den hatte ich genau an der richtigen Stelle getroffen. Der stand nicht noch einmal auf.

»Du Schlampe«, stieß er plötzlich aus, aber das war so schwach, dass es sich beinahe lächerlich anhörte.

»Raus hier. Nicht nur aus dem Lagerraum, sondern aus der Bar. Du hast Hausverbot. Ein solches Verhalten dulde ich hier nicht.«

»Du hast mir was gebrochen.«

»Glaub ich nicht.« Ich blickte auf ihn hinab. »Entweder gehst du freiwillig oder ich hol Duke. Den hast du doch gesehen? Großer Kerl, viele Haare, überall Tattoos und Oberarme wie Baumstämme.«

»Ich kann nicht laufen, du dummes Stück!«

»Versuch es.«

Mühsam richtete er sich auf, zog sich an einem der Bierfässer hoch. Aber anstatt das Vernünftige zu tun, schwankte er auf mich zu, ein wenig breitbeinig, was zu erwarten gewesen war. 

»Hör mal zu, Miststück. So lass ich nicht mit mir umgehen, ist das klar? Wenn du jetzt brav bist …«

Brav. Ich konnte mich nicht erinnern, dass mich jemals ein Wort so sehr getriggert hatte wie dieses. Brav. Brave Mädchen hatten keine Bar in Atlantic City. Brave Mädchen gingen nicht aus ihrer Kleinstadt weg. Brave Mädchen …

Spöttisch sah ich ihn an. »Brav? Kannst du vergessen. Und jetzt raus.«

Er machte einen Schritt auf mich zu, bevor er noch mal zusammensackte, sich vornüberbeugte. »Ich …«

»Du wolltest gerade gehen? Da ist die Tür. Mach dich nicht noch lächerlicher, als du es eh schon getan hast.«

»Ich mach mich lächerlich? Du bist eine männerhassende Kampflesbe!«, brüllte er.

»Ganz genau. Raus.« 

Mein Herz klopfte so schnell, dass ich befürchtete, es würde aus meiner Brust springen. Wenn er nicht schnell vernünftig wurde, musste ich ihm noch mehr wehtun.

In meiner ersten Woche in der Bar hatte ich gemerkt, dass ich hoffnungslos überfordert war. Ich hatte diesen Kerlen, die oftmals dachten, dass es ihnen zustände, jede Frau anzugrapschen, nicht wirklich viel entgegenzusetzen gehabt. Ich konnte Nein sagen, aber das wurde nur mit einem spöttischen Lächeln quittiert. Ich konnte ihnen eine Ohrfeige verpassen, aber auch das hatte sie nicht davon abgehalten, zu tun, was sie wollten. Ich hatte zwei Dinge beschlossen. Erstens hatte ich Duke eingestellt, auch wenn das bedeutete, dass ich kaum Gewinn machte. Zweitens hatte ich mich bei einem Selbstverteidigungskurs angemeldet. Dort hatte ich auch Alyssa getroffen, die als Croupière arbeitete, was offensichtlich auch manchmal beängstigend war. Dieser erste Kurs hatte uns Spaß gemacht, weswegen wir beschlossen hatten, mit Kampfsport anzufangen. Wir hatten ein paar Richtungen ausprobiert, bevor wir uns für Krav Maga entschieden und dabei blieben. Wir trainierten zweimal in der Woche, wenn es mir möglich war. Manchmal war ich einfach zu kaputt.

Wobei man sagen musste, dass ich die allererste Regel, nämlich verbale Deeskalation, nicht unbedingt befolgt hatte. Aber in mir sträubte sich alles dagegen, bei solchen Kerlen zu kuschen. Albern, das war mir bewusst, aber es war so wie bei der Abwehr von Pumas. Um diese abzuschrecken, sollte man sich so groß wie möglich machen, damit sie glaubten, unterlegen zu sein. Bei den Tieren funktionierte es, was nur bewies, dass sie schlauer waren als so mancher Mann.

»Du bist fett und hässlich. Mit dir will eh keiner ficken«, kam es stöhnend aus seinem Mund, bevor er endlich den Rückzug antrat.

Erleichterung durchflutete mich. Als er aus dem Lager ging, lehnte ich mich ein wenig erschöpft an einem der Regale an. Noch mal gut gegangen. Wenn ich das Bier nach vorn geschafft hatte, musste ich Duke Bescheid geben, damit dieser Arsch nie wieder auch nur einen Fuß in die Bar setzte.

Seufzend nahm ich die Sackkarre, wuchtete das Fass darauf, bevor ich in die Bar trat. Meine Augen fanden den Wichser sofort. Er stellte sich zu zwei anderen, die ihn fragend ansahen. Offensichtlich erzählte er nichts von seiner Schmach.

Ich schüttelte den Kopf, bevor ich das Fass anschloss und zur Tür ging, um Duke zu holen. 

Ein ganz normaler Abend in der Bar. Fuck.

***Zane ist der erste Teil eines Gemeinschaftsprojekts mit Emily Key und Freya Miles. Alle drei Bücher sind schon erschienen und ich verlinke sie hier.

ZANE SEAN OWEN

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