Leseprobe: Mein Leben als Superheldin

Und jetzt kommt auch schon der dritte Teil der Rock’n’Rallye-Reihe. Dieses Mal dreht sich alles um Taylor, die hauseigene Superheldin des heißesten Rallye-Teams aller Zeiten. Und hier hab ich eine Leseprobe für dich:

Kapitel 1

»Nein, nein, Rotwein bekommt man am besten mit Salz und Mineralwasser raus«, schreit meine Mutter. Die Lautstärke ließe sich durch die Tatsache erklären, dass sie in der Küche ist und wir im Esszimmer, aber in der Familie Watts haben einfache Tatsachen keine Bedeutung, denn sie würde auch so laut rufen, wenn sie neben mir stehen würde. Meine Familie ist laut, chaotisch und hört sich selbst gerne reden.

Ich bin das Gegenteil. Eigentlich. Man meint es nicht, als ich zurückrufe: »Das haben wir schon bei den ersten drei Malen verstanden.«

Mum erscheint mit den Händen in dicken Topfhandschuhen und dem glasierten Schinken auf einer weißen Servierplatte in der Tür. »Ihr Kinder habt die Tendenz, einfach nicht zuzuhören.«

Meine Schwester Tina mischt sich ein: »Wann soll das gewesen sein?«

»Du hast in den siebenunddreißig Jahren seit deiner Geburt noch nicht einmal zugehört.« Mum stellt den Schinken auf den Tisch. Er sieht einfach großartig aus, und ich spüre, wie mein Magen anfängt zu grummeln. Mit Honig glasierter Schinken gehört einfach zu meinen liebsten Gerichten, und Mum kann kochen. Das konnte sie schon immer.

»Also, das ist doch eine Unverschämtheit«, ereifert sich meine Schwester in einer Lautstärke, die einem startenden Düsenjet nahe kommt.

»Wann hast du denn mal zugehört? Nenn mir ein Beispiel.« Mum verschränkt die Arme vor der Brust.

Wenn sie das tut, sollte man schleunigst den Rückzug antreten, aber Tina war schon immer aus einem anderen Holz geschnitzt. Der Tag, an dem sie nachgibt, ist der Tag, an dem sie diese Erde verlässt. Und auch das wird sie nur unter lautem Protest tun.

»Na, zum Beispiel am 7. Mai 1999. Da hast du gesagt, dass mein Abschlussballkleid mir sehr gut steht.«

Mum lacht. »Okay, fein, du hast gewonnen. Einmal in deinem Leben hast du zugehört. Auch wenn ich mir sicher bin, dass du dir das Datum nur ausgedacht hast.«

»Also wirklich. Natürlich nicht. Mein Gedächtnis war schon immer phänomenal.«

»Ebenso wie deine Fähigkeit, dich selbst zu loben«, wirft unser jüngerer Bruder Oliver ein.

»Dir jungem Gemüse würde ich nicht mal zuhören, wenn du der letzte Mensch auf Erden wärst«, entgegnet sie, bevor sie ihre Tochter Sophia ruft, die in ihrem Zimmer ist.

Tina und Sophia sind nach der Scheidung bei Mum eingezogen, was mich erleichtert. Zum einen wird Mum nicht jünger und dass sie so ganz allein ist, bereitet mir Sorgen, zum anderen hat Tina nun jemanden, der auch mal auf ihre Tochter aufpassen kann.

Mum geht in die Küche, um die anderen Schüsseln zu holen, und ich decke den Tisch zu Ende, was ich unterbrochen hatte, als ich Tina gefragt habe, wie man Rotwein aus einer hellen Bluse bekommt.

Mum erscheint mit den Röstkartoffeln. »Wo bleiben eigentlich Jared und Dorian? Es sieht den beiden nicht ähnlich, zu spät zu kommen.«

»Technisch gesehen haben sie ja auch noch zwei Minuten«, meint Oliver nach einem Blick auf die Uhr.

»Es versteht sich doch von selbst, dass man kommt, bevor das Essen auf dem Tisch steht.«

»Ach, Mum.«

»Was soll das schon wieder heißen, Taylor?«, fragt sie nach meinem Seufzer.

»Gar nichts. Aber meinst du nicht, dass du das alles mal ein wenig lockerer sehen solltest?«

»Ich muss gar nichts.«

»Ich hab auch nicht gesagt, dass du musst, nur gefragt, ob du nicht solltest.«

»Nein.« Und damit ist das Gespräch beendet.

Mit übernatürlichen Kräften bemühe ich mich, keine Regung im Gesicht zu zeigen, denn ein Kopfschütteln, ein Stirnrunzeln oder ein Augenrollen kann zu ganz schlimmen Kämpfen führen. Mum fühlt sich immer kritisiert. Egal, ob zu Recht oder nicht. Jared, Oliver und ich haben gelernt, auf rohen Eiern zu gehen, Tina ist da mehr so der Bulldozer unter uns Kindern. Feingefühl kann sie nicht mal buchstabieren. Und doch scheint es so, als würde Mum ihr das als einzige nicht übelnehmen.

Szenen einer Familie.

»Sophia! Es gibt essen!«, schreit Tina durch den Flur.

»Wir kommen ja!«, schallt es zurück. Auch die nächste Watts-Generation kann die Stimme erheben. Aber ganz ehrlich, wenn man das nicht lernt, wird man gnadenlos untergebuttert.

Selbst ich, die diese Art der Kommunikation eigentlich vollkommen ablehnt, habe es lernen müssen. In meiner Jugend war es die Hölle für mich, aber seit ich mein eigenes Leben führe, kann ich damit umgehen. Weil es ja höchstens einmal pro Woche so ist, und ich den Rest der Zeit leiser sprechen kann.

Es ist nicht einmal so, dass ihnen das bewusst ist. Sie sind eben laut, was auch vollkommen okay ist, nur sollte es auch okay sein, wenn man es nicht ist. Toleranz ist allerdings auch etwas, woran wir als Familie arbeiten müssen, und damit meine ich die anderen.

Eine Elefantenherde kommt die Treppe herunter. Ach nein, das sind ja nur Sophia und ihre beiden Cousins, Brian und Timothy. Kann man ja mal verwechseln.

»Tante Tay!«, kreischen sie, bevor sie sich in meine Arme werfen.

Sie haben alle drei solches Urvertrauen, dass sie glauben, dass ich sie auf jeden Fall auffange. Was ich auch tue, aber Brian rutscht mir beinahe durch die Finger. Je älter sie werden, desto wirbeliger werden diese Wirbelwinde.

»Bald kann ich euch nicht mehr halten, so groß seid ihr schon«, keuche ich lächelnd unter ihrem Gewicht.

»Ach, was«, meint Oliver. »Sie liebt das.«

Und das tue ich auch. Von all den Rollen, die ich innehabe, ist Tante meine liebste. Als sie alle noch Babys waren, fand ich sie süß, aber erst seitdem sie Unsinn machen können, bin ich ganz in meinem Element. Schließlich bin ich die coole Tante Tay.

Irgendwann kriegen sie von mir ihr erstes Bier. So in etwa dreißig Jahren. Frühestens.

»Hast du uns was mitgebracht?«, fragt Brian mit seinen großen Augen, denen ich mit Sicherheit niemals etwas werde abschlagen können.

»Mich.«

»Häh, echt?«, fragt Timothy empört. Also, so empört, wie man mit vier Jahren sein kann.

»Eure Tante muss euch nicht jedes Mal etwas mitbringen«, mischt sich Tina ein.

»Aber … aber …«, wirft nun auch Sophia ein.

Ich grinse sie an. »Hey, ihr kennt mich doch.« Und unter lautstarkem Gejubel ziehe ich drei kleine Lutscher aus meiner Tasche. Schließlich bin ja nicht ich diejenige, die mit ihnen klarkommen muss, wenn sie auf Zucker sind. Die Vorteile einer Tante.

»Aber erst nach dem Essen«, wirft Oliver ein und schenkt mir einen Blick, der die Welt erfrieren lassen könnte.

»Was denn?«, frage ich vollkommen unschuldig.

»Du weißt genau, dass Darrel nicht will, dass sie so viel Zucker essen.«

»Nicht so viel bedeutet, dass ich ihnen einmal in der Woche was mitbringen kann. Das Problem ist ja nur, dass ihr es die ganze Woche schon nicht durchhaltet, und mir daher den Spaß verderben wollt.«

Er verdreht die Augen, während Tina lacht. »Damit hat sie Recht.«

»Es ist auch echt schwer, Kindern etwas Süßes zu verweigern, wenn sie erstmal auf den Geschmack gekommen sind«, verteidigt sich Oliver.

»Aber ich war es nicht, die damit angefangen hat«, erinnere ich ihn.

Oliver hebt die Hände. »Fein, wir waren es selbst. Zufrieden?«

»Sehr, danke.«

Es klingelt an der Tür, und ich gehe langsam in den Flur, um zu öffnen, während die anderen sich setzen. Ein unangenehmes Ziehen im Bauch sorgt für ein leichtes Unwohlsein, wie jedes Mal, wenn ich meine Periode habe.

Als ich die Tür aufreiße, kreischen zwei kleine Kanonenkugeln los, bevor sie sich in meine Arme werfen. Rosanne und Neil machen unser Quintett komplett.

»Hey, Tay«, ruft mein Bruder Jared über das Geschrei hinweg, während sein Mann Dorian einfach nur kopfschüttelnd dabeisteht. Auch nach beinahe einer Dekade in dieser Familie hat er sich noch nicht daran gewöhnt, dass es hier lauter ist als auf einem Rockkonzert. Wenn Slipknot auftritt.

»Kommt rein, kommt rein. Taylor, warum lässt du deinen Bruder nicht reinkommen?«, fragt Mum, die hinter mit auftaucht.

»Weil ich von Vandalen angegriffen wurde.« Ich küsse ihre blonden Köpfe, bevor ich langsam ins Esszimmer laufe, während sie wie kleine Äffchen an mir hängen. »Was habt ihr Schönes gemacht?«

»Wir waren im Zoo!«, ruft Neil.

»Im Zoo? Und was habt ihr da gesehen?«

»Ganz viel.«

»Was war dein Lieblingstier?«

»Der Löwe.«

»Und deins, Rosie?«

»Die Gaffe.«

»Die Giraffe?«

Sie nickt grinsend, wobei sie so zuckersüß aussieht, dass ich sie einfach aufessen muss. Als ich so tue, als würde ich an ihr nagen, kreischt sie lachend los.

»Dann können wir ja essen«, meint Mum und setzt sich hin.

Es dauert ein paar Minuten, fünf Kinder und sechs Erwachsene zu organisieren, aber dann können wir einander endlich an den Händen nehmen und beten. Allerdings nutze ich die Zeit meist, um über die Arbeit nachzudenken. Denn das sind die einzigen Sekunden an Sonntagen, in denen ich mal zum Luftholen komme. Vielleicht ist es merkwürdig, wenn man am Wochenende an die Arbeit denkt, aber ich liebe meinen Job einfach sehr. Man könnte beinahe sagen, dass es ein Fulltime-Job ist. Oh, nicht, weil meine Chefin mich antreiben würde, sondern weil ich es selbst mache. Als PR-Chefin von Rock’n’Rallye ist es meine Aufgabe, immer wieder neue, innovative Aktionen zu starten, die dem Team möglichst viele Sponsoren einbringen.

Und ich liebe es.

Wirklich. Fast so sehr wie meine Nichten und Neffen.

Aus meinen Überlegungen wache ich auf, als die kleinen Hände aus meinen gezogen werden. Es gibt einen Plan, an welchem Tag welches Kind neben mir sitzen darf, weil das immer für Streit gesorgt hat. Jetzt geht es reihum, auch wenn noch immer Schmollgesichter auftauchen. Schließlich ist es auch so unfair, wenn man nur jeden dritten Sonntag drankommt.

Ich schneide Brians Chicken Nuggets klein, bevor ich Rosannes Kartoffeln zermatsche, die sonntags darauf besteht, gefüttert zu werden, auch wenn sie es zu Hause hasst, wenn man ihr hilft. Wenn ich mich aber zu viel mit ihr beschäftige, wird Brian quengelig, schließlich ist es auch sein Tag.

Ob ich zum Essen komme?

Mum packt mir immer was zum Mitnehmen ein.

»Warum wart ihr so spät?«, fragt Mum ihren ältesten Sohn.

»Wir waren im Zoo.«

»Aber das muss man doch besser planen.«

»Kinder funktionieren nicht immer nach Plan.«

»Also zu meiner Zeit …«

Tina lacht. »Vor nicht allzu vielen Minuten hast du noch behauptet, dass deine Kinder nie gehört hätten, und auf einmal willst du erzählen, dass du uns im Griff hattest? Entscheide dich mal für eine Geschichte.«

Mum zeigt mit der Gabel auf Tina. »Fräulein, du wandelst auf sehr dünnem Eis.«

Oliver wirft ein: »Das tut sie schon seit Jahrzehnten.«

»Aber bald bricht es«, sagt Mum, bevor sie das Thema wechselt. »Wann fliegst du nach Amerika, Tay?«

»Am Mittwoch.«

»Und wie lange bleibst du da?«

»Zehn Tage.«

»Dann kommst du nicht zum Essen?«

»So sieht es aus.«

»Also, das passt mir nicht. Die Sonntage gehören mir.«

Ich halte Rosanne einen Löffel voller Kartoffelbrei hin. »Es macht einfach keinen Sinn, samstags zurückzukommen und montags wieder hinzufliegen.«

»Trotzdem.«

Ich werfe Jared einen flehenden Blick zu. Weil er einfach der beste große Bruder ist, fragt er Tina zur Ablenkung: »Habt ihr euch jetzt auf eine Schule geeinigt?« Sophia geht bald auf die nächsthöhere Schule, und Tina und ihr Ex-Mann George können sich nicht einigen, auf welche sie gehen soll. Tina will, dass sie in der Nähe bleibt, aber George will sie auf die Queen Anne’s School schicken, die zwar auch nicht so weit entfernt ist, aber trotzdem würde sie dort im Internat sein.

»Nein. Ich weiß einfach nicht, was richtig ist.«

»Ich möchte bei dir bleiben, Mum«, wirft Sophia ein.

Tina streichelt ihrer Tochter über den Kopf. »Das möchte ich auch, aber eine Privatschule bietet auch viele Vorteile. Und wenn Dad zahlt …«

»Aber dann bin ich die ganze Woche nicht da.«

Bevor Tina antworten kann, fragt Oliver: »Wie teuer ist denn die Schule?«

»Fast zwölftausend Pfund pro Trimester.«

Oliver, der gerade einen Schluck getrunken hat, spuckt beinahe den Wein über den Tisch. »Wie bitte?«

Tina zuckt mit den Schultern. »Ist teuer, aber George will es bezahlen.«

»Ich hab gelesen, man muss nicht unbedingt im Internat leben, sondern kann auch täglich anreisen«, sage ich.

»Ja, das stimmt, aber es wäre jeden Morgen eine Stunde hin und zurück, und das auch nur, wenn kein Stau herrscht. Und weder George noch ich können das leisten.«

Irgendwie finde ich nicht, dass dies das passende Gesprächsthema ist, während Sophia dabei ist. Klar will sie nicht weg von ihrer Mum, aber ich bin mit den Geschichten von Hanni und Nanni aufgewachsen, weswegen ich ein Internat durch eine rosarote Brille sehe, aber meine Eltern konnten sich das nicht leisten.

»Wo ist eigentlich Darrel?«, frage ich Oliver.

»Die ganze Redaktion wurde einberufen, um die kommende Brexit-Abstimmung im Unterhaus zu begleiten.«

»Oh, spannend!«

»Na ja, was haben sich alle Brexit-Befürworter denn gedacht? Dass die EU sie gehen lässt und ihnen weiterhin alle Vorteile gewährt, ohne dass Nachteile in Kauf genommen werden müssen? Wie naiv muss man denn sein?«, fragt Oliver.

»Also, ich weiß nicht«, meint Mum, »die EU hat von uns immer nur gefordert, gefordert und gefordert. Da sollte es doch niemanden wundern, dass so viele das als schlechten Deal angesehen haben.«

»Mum, du hast auch gegen den Brexit gestimmt«, wirft Tina ein.

»Aber doch nur, weil du mir gesagt hast, dass ich das machen soll.«

»Dann bin ich froh, dass du mir so sehr vertraust.«

Jared erklärt: »Der Brexit war schon die dämlichste Idee, die dieses Land je hatte, aber wenn wir auch noch ohne einen Deal die EU verlassen, na, dann gute Nacht.«

»Obwohl man ja auch einwerfen muss, dass der angebotene Deal nicht wirklich fair ist«, meint Tina.

»Was heißt denn fair? Wir verlassen die EU, obwohl es gar nicht vorgesehen ist, diese zu verlassen. Klar ist der Backstop bitter, aber ich hab auch nichts anderes erwartet. Und mal ehrlich, wie würden sich die Iren fühlen, wenn es eine harte Grenze auf ihrer kleinen Insel gäbe?« Oliver ist Mitglied der Labour-Partei, weswegen er sich auskennt, aber gleichzeitig auch denkt, dass alle seiner Meinung sein müssen, weil er ja die Fakten beisammen hat.

»Das würde uns Iren gar nicht gefallen«, wirft Mum ein.

Jared lacht. »Uns Iren? Wenn du tatsächlich so irisch wärst, hätte man dich gar nicht überzeugen müssen, gegen den Brexit zu stimmen.«

Dorian schielt zu mir herüber. In seinen Augen sehe ich ein Wort. Fett und in Großbuchstaben. GEFAHR! Oh ja, solche Familienessen können sehr schnell sehr stark ausarten.

»So irisch bist du gar nicht, Mum«, erklärt Tina, »deine Oma kommt zwar von der grünen Insel, aber du hast nie da gelebt.«

»Aber im Herzen!«

»Tay, mehr Limo!«, verlangt Brian neben mir.

»Oh nein, du hattest heute schon genug Zucker«, entscheidet Oliver.

»Aber ich will Limo!«

»Ich auch Limo!«, kreischt Rosanne von der anderen Seite.

»Wenn Brian Limo bekommt, dann will ich auch«, meint sein Zwillingsbruder Timothy.

Nur der fünfjährige Neil stimmt nicht in das Tohuwabohu ein. Aber nur, weil er gerade versucht, dem alten Beagle Henry heimlich seine Erbsen unterzujubeln. Henry hebt nur müde ein Augenlid. Für Erbsen bewegt er sich nicht, was ich voll verstehen kann.

»Ihr seid alle noch zu klein«, meint Sophia und trinkt von ihrer Limo.

»Ich bin nicht klein!«, echauffieren sich Brian und Timothy zur selben Zeit.

»Ich schon«, sagt Rosanne.

Dorian schüttelt den Kopf, gleichzeitig erschrocken und fasziniert. Diese Familie ist wie ein Zugunglück. Man sieht es geschehen, aber man kann einfach nicht weggucken.

»Niemand bekommt Limo!«, erklärt Oliver, der sich wahrscheinlich vorstellt, wie seine Frau ihm das Fell über die Ohren zieht, wenn sie merkt, dass die Kids in einem Zuckerkoma sind.

»Aber Sophia …«, startet Brian.

Neil, der aufgegeben hat, Henry zu füttern, fragt: »Was ist los?«

»Sie wollen alle Limo«, bringt ihn Sophia auf den aktuellen Stand der Dinge.

»Ich auch!«

Während die Eltern am Tisch verzweifelter und verzweifelter werden, amüsiere ich mich köstlich. Aber wie schon gesagt, eine Tante muss auch nicht erziehen, sondern nur nett sein. Alle Vorteile, keine Nachteile. Perfekt.

»Klar, Tay, du lachst wieder. Wahrscheinlich hast du die Limo-Revolution begonnen«, beschuldigt mich Tina.

Ich lege mir die Hand auf die Brust. »Ich?«

»Deine Unschuldsmiene nehme ich dir auch keine Sekunde ab«, meint Oliver. »Da war bestimmt eine geheime Botschaft in den Lutschern.«

»Also, bitte. Das ist doch lächerlich. Ihr schafft es schon ganz allein, dass eure Kinder durchdrehen. Muss ich euch an all die Geschichten erinnern, die ihr hier erzählt habt, die geschehen sind, als ich nicht dabei war?«

»Das mag sein, aber sie sind exponentiell frecher, wenn du im Raum bist«, meint jetzt auch Jared.

»Et tu, Brute?« Ich greife mir ans Herz.

Jared lacht. »Hey, du weißt, wie dankbar wir dir für alles sind, aber du kannst nicht leugnen, dass du den Kids alles durchgehen lässt.«

»Das würde ich auch nie leugnen. Ist schließlich die Wahrheit.«

»Eben«, sagt Tina. »Das ist es. Du sagst immer nur Ja, und wenn die Eltern dann mal Nein sagen, sind sie die Bösen.«

»Entschuldigt bitte, aber als Tante habe ich auch keinerlei Erziehungsauftrag.«

»Also, jetzt lasst mal Tay in Ruhe«, mischt sich Mum wieder ein. »Wenn sie nicht wäre und zu jeder Tages- und Nachtzeit babysitten würde, würdet ihr alle alt aussehen.«

»Danke, Mum. So sehe ich das auch.«

»Ja, klar siehst du es so«, erklärt Oliver. »Aber ich will nicht immer der Böse sein.«

»Dann lass es eben.«

»Du machst es dir so einfach.«

Bevor ich antworten kann, ereifert sich Tina: »Es sollte Regeln geben, an die auch du dich halten musst, Tay. Bei vielem kannst du flexibel sein, so als Tante, aber es sollte Basisregeln geben.«

»Okay, fein«, gebe ich zurück. »Eine Basisregel ist dann, dass ich nicht mehr spontan einspringe, wenn ihr einen Babysitter braucht.«

»Nee, das ist schon mal keine Regel, die wir festlegen«, bestimmt Jared, während Dorian mich flehentlich ansieht. Seit sie vor einem Jahr Rosanne und Neil adoptiert haben, ist Freizeit ein Fremdwort für sie, und besonders Dorian liebt die monatliche Date Night, die sie sich gönnen.

»Ach, jetzt willst du auch noch über mich bestimmen?«, frage ich, während mir auffällt, dass die Kinder plötzlich alle leise sind. Was daran liegen könnte, dass Sophia ihnen allen Limo eingeschenkt hat. Ehrlich, ich hätte es nicht besser orchestrieren können.

»Kann es eigentlich auch ein Sonntagsessen geben, das nicht im Streit endet?«, fragt Mum mit ihrer Leidensstimme, mit der sie uns klarmachen will, wie schwer sie es doch hat, weil wir auch in unseren Dreißigern noch immer nicht zur Vernunft kommen.

»Wir streiten nicht, wir diskutieren«, erklärt Tina, während sie sich noch eine Scheibe Schinken auf den Teller legt.

»Das weiß man bei euch nicht immer so genau. Der Unterschied ist fließend.«

»Wo hast du denn jetzt die Limo her?«, ruft Oliver aus und will nach Timothys Glas greifen, der es schnell außer Reichweite zieht und unschuldig mit den Schultern zuckt.

Wütende Blicke richten sich auf mich, während ich den gleichen Blick aufsetze wie mein Neffe. »Ihr habt mich die ganze Zeit angesehen. Ich konnte gar nichts tun.«

»Ich war es«, meint Sophia heldenhaft. Mit zehn ist sie schon echt eine mutige Persönlichkeit.

»Ach, Sophia, du brauchst deine Tante nicht in Schutz zu nehmen«, erwidert ihre Mutter.

»Ich glaub trotzdem, dass Taylor es irgendwie geschafft hat, das Ganze in die Wege zu leiten«, erklärt Oliver.

»Nennt mich die Puppenspielerin.« Ich hebe die Hand, lasse sie in der Luft schweben und bewege die Finger, als würde ich an den Schnüren einer Marionette ziehen.

»Ich wusste es«, meint Jared, aber sein Grinsen zeigt, dass es für ihn ebenso wenig ernst war wie für mich. Nur Oliver hat es nicht so ganz begriffen.

»Ach, Kinder, einmal nur ein ruhiges Essen«, bittet Mum.

»Das wäre doch langweilig«, meint Tina.

Während andere Gespräche wieder beginnen, schaue ich auf diese große, verrückte Familie, und mir wird einmal mehr bewusst, wie viel Glück ich doch eigentlich habe. Klar, manchmal würde ich sie gerne bei Ebay verkaufen, aber im Grunde kann ich mich glücklich schätzen, weil ich diese Menschen habe.

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