Leseprobe: Lipstick & Kilts – Farlan

Der Organist schlägt die ersten Töne des Brautmarschs an. Zum dritten Mal. Während sich beim ersten Mal noch alle erhoben haben, bleiben sie jetzt sitzen, verrenken sich nur die Köpfe, um zu sehen, ob die Braut nun endlich kommt.

Das mulmige Gefühl, das in mir aufgestiegen ist, nachdem sie den ersten Einzug verpasst hat, verstärkt sich. Ach was! Es wird Angst. Auf einer Skala, bei der zehn eine ausgewachsene Panik ist, bin ich schon bei einer elf. Wo ist sie denn? Wo ist Caitlin?

Ich versuche, mich zu beruhigen, denn das passt zu ihr. Sie ist immer zu spät. Und sie hat so einen verrückten Sinn für Humor, dass sie das witzig finden würde. Das wird es sein. Sie will mich ein bisschen quälen.

Bram beugt sich zu mir. »Soll ich mal gucken gehen?«

Caitlin wird sauer sein, wenn wir ihren großen Auftritt versauen, aber vielleicht ist was passiert? Vielleicht ist sie verletzt oder …? Keine Ahnung, was Bräuten so an ihrem Hochzeitstag passieren kann.

Aber die Sorge nimmt mich gefangen, weswegen ich nicke, und ihm dann hinterherschaue, wie er den Mittelgang entlangeilt.

Ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll. Die verwirrten Blicke ihrer Eltern habe ich schon registriert, die besorgten meiner Freunde ebenso. Am schlimmsten sind aber die mitleidigen, die schon zu wissen glauben, dass ich am Altar versetzt wurde. Ich. Farlan Roy. Von allen Dingen, die ich mir je vorstellen konnte, war das ganz sicher das letzte.

Und auf keinen Fall kann ich zu Alfie sehen. Seine hellen Augen werden in Mitgefühl schwimmen, und das kann ich jetzt nicht ertragen. Nicht, wenn ich noch Hoffnung habe, dass meine Braut gleich kommt.

Da ist Bewegung am Ende des Ganges. Ich schaue auf. Aber es sind nur Bram und die erste Brautjungfer Mia. Sie wird Klarheit in die ganze Sache bringen können.

Als sie fast bei mir angekommen sind, beugt sich Bram zu Arran, dieser steht auf, kommt mit nach vorn. Ich schaue Mia an, flehe sie stumm an, mir gute Nachrichten zu bringen.

»Es tut mir so leid«, flüstert sie erstickt.

»Was? Was ist denn? Ist was mit Cait?«

Sie schüttelt den Kopf. »Nein, nein, ihr geht es gut.«

»Wo ist sie denn?«, frage ich ungeduldig wie ein Mann, der sich seit Jahren darauf freut, diese Frau zu heiraten.

Mia ist ganz blass. »Sie ist weg.«

»Was soll das heißen?« Verwirrung steigt in mir auf. Die Worte ergeben doch gar keinen Sinn!

»SieistmitihremExFreunddurchgebrannt«, sprudelt es dann plötzlich aus ihr raus. So schnell, dass ich es erst gar nicht verstehe.

»Was?«

Bram legt eine Hand auf meine Schulter. »Sie hat dich am Altar stehen gelassen, Mann.«

Schock durchfährt mich. Das kann doch gar nicht sein. Sie liebt mich. Das hat sie doch gestern noch gesagt. Ich liebe dich. Das waren ihre letzten Worte, als sie gestern Abend in ihrem Hotelzimmer verschwunden ist und ich in meines gegangen bin. Schließlich soll man die letzte Nacht nicht zusammen verbringen. Wir haben uns an all diese Bräuche gehalten. Weil … ja, weil wir heute heiraten wollten. Seit fünf Jahren sind wir zusammen. Nach einem war mir schon klar, dass das für immer ist. Und jetzt? Jetzt ist alles kaputtgegangen. Sie hat es zerstört.

»Arran bringt dich raus. Ich regel hier alles.« Mein bester Kumpel sieht mich mit traurigen Augen an.

Ich kann nur nicken. Arran legt eine Hand auf meine Schulter. »Komm.«

Er bringt mich zu einer Seitentür, die mich davor bewahrt, durch alle Gäste zu laufen, mir ihr mitleidiges Gemurmel anhören zu müssen. Hinter mir höre ich, wie Bram sagt: »Liebe Gäste …«, aber dann fällt die Tür hinter uns ins Schloss.

Ich lehne mich gegen die kühle Steinwand des Flurs, in dem wir uns befinden, beuge mich nach vorn. Arran legt seine Hand auf meinen Rücken, aber ich kann kein Mitleid gebrauchen. Ganz sicher nicht.

Galle steigt in mir auf. Ich muss gleich kotzen. Fuck.

Schnell richte ich mich auf.

»Alter …«, beginnt Arran, bricht dann aber ab.

Dafür bin ich dankbar. Was sollte er auch sagen? Dass es ihm leidtut? Nicht so sehr wie mir.

Er seufzt. »Die Straße runter ist ein Pub.«

»Gute Idee.«

Es dauert endlos, aus diesem verdammten Schloss zu kommen, das Caitlin sich für unsere Hochzeit ausgesucht hat. Drumtochty Castle in Auchenblae. Ein Ort für den ersten Platz meiner persönlichen Shitlist. Fast zweieinhalb Stunden sind wir vorgestern gefahren, um hierherzukommen. Wozu?

Ganz ehrlich: Wozu?

Hat sie das geplant? Oder war es eine spontane Entscheidung? Ich weiß ehrlich nicht, was ich schlimmer fände.

»Hier lang«, sagt Arran und bringt mich zu seinem Wagen.

Die Straße runter ist zwar wahr, aber dennoch ein ganz schönes Stück.

Ich steige ein, lehne mich zurück, schließe die Augen. Fuck. Das ist wirklich alles, was ich denken kann.

»Ich weiß, Mann.«

Ich schaue ihn verwirrt an, bevor ich frage: »Hab ich das laut gesagt?«

Er nickt und legt den Rückwärtsgang ein. »Nur zu verständlich.«

»Ich kapier’s nicht. Gestern Abend war alles in Ordnung.« Sie war wie immer. Da bin ich mir ziemlich sicher. Also entweder wollte sie es schon eine ganze Weile nicht mehr und ich habe es nur nicht mitbekommen, oder heute ist etwas passiert.

Ihr Ex-Freund.

Das hat Mia doch gerade gesagt.

Ich schaue Arran an. »Hat Mia gesagt, dass sie mit ihrem Ex abgehauen ist?«

»So hab ich das verstanden.«

»Scheiße.«

»Aber wirklich.«

Sie ist mit diesem verdammten Thomas Turner abgehauen. Caitlin hatte gesagt, dass sie ihn seit der Trennung nie wiedergesehen hat. Aber dann offensichtlich heute. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass er nicht auf der Gästeliste stand. Wieso hat sie ihn dann heute gesehen?

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. »Argh! Was für eine verfickte Scheiße!«

Arran parkt vor dem Pub, und wir gehen rein. Ich lasse mich an der Theke nieder. »Zwei doppelte Whisky, neat, bitte. Und was immer mein Kumpel will.«

Arran bestellt ein Bier.

Die Frau hinter der Bar nickt, tritt an die Zapfanlage, füllt ein Glas, bevor sie zwei Gläser vor mich stellt. »Irgendeinen bestimmten?«

»Den, der vorn steht.«

Sie lächelt. »Alles klar.« Sie nimmt eine Flasche, füllt die honiggelbe Flüssigkeit ein, schiebt dann die Gläser näher.

»Danke, Lass

Ich nehme das erste Glas, trinke es leer. Eigentlich nimmt man sich für Whisky Zeit, aber es geht hier nicht ums Genießen. Ich will einfach nur so schnell wie möglich vergessen. Und ja, ich werde morgen mit einem Kater zahlen, aber das ist mir lieber, als mich heute an mein gebrochenes Herz erinnern zu müssen. Sehr viel lieber.

Arran ist ein guter Kumpel, weswegen er mich nicht aufhält, als ich auch noch den zweiten hinunterstürze.

»Wow, gibt es was zu feiern?«, fragt die Barkeeperin.

»Eher das Gegenteil«, meint Arran, während ich sage: »Ich nehm noch zwei. Danke.«

Sie blickt ihn an. Als er nickt, sagt sie: »Alles klar.«

Jetzt habe ich auch noch einen beschissenen Babysitter. Nein, wie heißt das? Einen Vormund. Jemanden, der meine Entscheidungen für mich trifft. Fuck. Tief bin ich gesunken. Von einem Mann, der alles hatte, zu einem Mann mit Vormund. »Großartiger Tag!«

Arran schüttelt den Kopf. Ups. Habe ich schon wieder ausgesprochen, was ich eigentlich nur denken wollte?

»Hier, Großer«, sagt die Frau und schiebt mir zwei weitere Gläser zu. Ihr Lächeln ist hübsch. Wie Whisky.

Kann sein, dass ich schon was vom Alkohol spüre, wenn ich so einen Unsinn denke.

Eine Hand landet auf meiner Schulter. »Was trinken wir?«, fragt Bram. Er setzt sich an meine andere Seite.

Woher wusste er, wo er uns findet?

»Du bist echt mein bester Kumpel, weißt du das?«

Er grinst leicht. »Weiß ich. Gibst du mir einen ab?«

Ich schiebe ihm ein Glas zu, bevor wir beide einen kleinen Schluck trinken.

»Meld dich mal bei deiner Frau«, sagt Bram zu Arran, der sofort sein Handy aus der Tasche zieht und aus dem Pub geht.

Ich hatte gedacht, dass ich zu diesem Zeitpunkt auch schon eine Ehefrau hätte. Stattdessen liegt der Scherbenhaufen eines ganzen Lebens vor mir.

»Willst du, dass die anderen herkommen?«, fragt Bram.

Ich schüttele den Kopf. »Ich will allein sein.«

»Okay. Die Eventmanagerin kümmert sich um die Absagen. Die Gäste wissen Bescheid. Du wirst wahrscheinlich alle Anzahlungen verlieren, beziehungsweise für die Location wirst du den vollen Preis bezahlen müssen.«

»Mir egal.«

»Nur damit du es weißt.«

Ich trinke den letzten Schluck, bestelle dann noch eine Runde.

»Ich bleib hier, wenn du willst.«

Mit einem Kopfschütteln sage ich: »Es geht mir nicht besser, wenn ich die ganze Zeit eure mitleidigen Blicke seh.«

»Hey, es ist kein Mitleid.«

»Fühlt sich aber genauso an.«

Bram seufzt. »Wenn was ist, meld dich.«

»Klar.«

Er wendet sich an die Barkeeperin. »Er wohnt im Drumtochty Castle.« Dann schreibt er ihr eine Nummer auf einen Bierdeckel. »Wenn irgendwas ist, rufen Sie mich bitte an.«

Sie nickt, steckt den Bierdeckel ein. »Alles klar.«

Er gibt ihr fünfzig Pfund. »Danke.«

Sie lächelt charmant. »Gern.«

Bram klopft mir auf die Schulter. »Wir sehen uns morgen.«

Ich nicke, obwohl ich keine Ahnung habe, was er meint. Aber das ist mir auch egal. Ich will nur eins: vergessen.

Hier ist der Link zum Buch. Viel Spaß beim Lesen. <3

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.