Lies das erste Kapitel

Inspiration: Küssendes und lachendes Pärchen

Mein neues Buch Ash – Aus Asche entstanden erscheint am 1. August und kann hier vorbestellt werden! Und hier hab ich das erste Kapitel für dich:

Ash

Mit langsamen Schritten gehe ich auf die Bar zu, den Kopf gesenkt, was nur halb mit dem nasskalten Wetter zu tun hat, und sehr viel mit dem stärker werdenden Widerwillen, weil das Gebäude größer und größer vor mir auftaucht.

Seufzend bleibe ich stehen, starre auf die hell erleuchteten Fenster. Das Gummiband, gegen das ich jede Sekunde angekämpft habe, zieht sich straff. Beinahe ist es, als würde ich nach hinten gezogen.

Aber genau das ist falsch.

Denn einen stehenden Körper wieder in Bewegung zu setzen, ist schwieriger, als einen sich bewegenden einfach in diesem Zustand zu lassen.

Während ich noch überlege, ob ich einfach verschwinden soll, legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich zucke nicht zusammen. Doch, ein bisschen schon.

»Hey, Mann. Überdenkst du all deine Lebensentscheidungen?«, scherzt mein Kumpel Sean und weiß vielleicht gar nicht, wie recht er damit hat.

»So was in der Art.«

Er weiß, dass man mich zu nichts überreden kann, was ich nicht will. Deswegen versucht er es gar nicht, sondern steht einfach nur neben mir, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Schultern hochgezogen, um die Kälte nicht in den Kragen seiner Jacke kriechen zu lassen.

Dann seufze ich. »Lass uns gehen.«

»Gehen?«, fragt er. »Wie in Reingehen oder wie in Weggehen?«

Ein Lächeln zuckt an meinen Mundwinkeln. Die Haut am Linken spannt, erinnert mich an die riesige Narbe, die sich über meine halbe Wange zieht, bis zu meiner Oberlippe, die sich durch das veränderte Gewebe knotig anfühlt. Mit dieser konstanten Erinnerung, wenn meine Lippen nur aufeinander liegen, werde ich nie vergessen können, was ich verloren habe …

Aber jetzt bin ich nun mal hier. Ich käme mir wie ein Feigling vor, und das ist etwas, was ich in meinem bisherigen Leben immer vermieden habe. Es hat sich schon zu viel geändert. Ich will nicht, dass es alles ist.

»Wie in Reingehen«, murmele ich, setze mich in Bewegung.

Sean bleibt neben mir. Seine Unterstützung still und unverwüstlich, wie immer in den vielen Jahren, die wir uns jetzt kennen.

Jeder Schritt wird schwerer, aber dann trete ich durch die Tür in die Bar. Erleichterung macht sich in mir breit, weil ich es doch geschafft habe.

»Sorry!«, ruft jemand, drängelt sich an mir vorbei.

Ich sehe nur einen Schopf roter Haare, bevor die kurvige Frau um die Ecke verschwindet, aber es triggert eine Erinnerung …

Pepper

»Hallo, hallo, hallo!«, rufe ich, als ich nach einer gefühlten Ewigkeit am Tisch meiner Freundinnen ankomme. Ich wickele den Schal ab, den ich gegen die ersten kalte Tage des Herbstes umgeschlungen habe, bevor ich Tiffany umarme, die aufgestanden ist.

»Herzlichen Glückwunsch!«, murmelt sie gegen meine Wange, drückt mich fest an sich. »Ich bin so stolz auf dich!«

Ich grinse. »Ist es komisch, wenn ich sage, dass ich auch stolz auf mich bin?«

»Ganz und gar nicht! Wenn man etwas Großartiges erreicht hat, sollte man sich selbst dafür feiern.« Sie lächelt mich an.

Eine ganze Unterhaltung entspinnt sich aus unseren Blicken. Ich sage nicht, dass das auch für sie gilt, dass sie sich ebenfalls für ihre Erfolge freuen sollte. Und sie sagt nicht, dass es ihr schwerfällt, etwas anderes als bescheiden zu sein. Ich antworte nicht, dass sie so unglaublich toll ist, und es mich traurig stimmt, dass sie es nicht sieht. Sie erwidert nicht, dass Komplimente ihr ein ungutes Gefühl geben.

»Hey! Ich will die Richterin auch umarmen!«, mischt sich Ariana ein, die ganz sicher kein Problem damit hat, ganz und gar unbescheiden durchs Leben zu gehen. Ihre starken Arme schlingen sich um mich. »Ich bin so stolz auf dich, Chica.«

»Danke«, murmele ich.

Kimberly lächelt mich an, als ich zu ihr trete. Sie ist das All-American-Girl, das den Quarterback unseres Highschool-Jahrgangs geheiratet hat, Perfektion bis in die kleinen Zehen, immer angemessen auftretend. »Wie war dein erster Tag auf der Richterbank?«, fragt sie, bevor sie mir Küsschen auf die Wangen drückt. Gott sei Dank hat sie sich diese Luftküsschen wieder abgewöhnt. Die gingen gar nicht.

»Puh, aufregend.« Ich lache auf. »Erst mal brauch ich einen Drink.«

In dem Moment kommt Jada mit einem Tablett. »Hat hier jemand Drinks gesagt?«

Als wir sie alle jubelnd begrüßen, grinst sie, umarmt mich mit einem Arm, während sie gleichzeitig versucht, die Shots Tequila nicht zu verschütten. »Fabelhaft«, sagt sie einfach nur. »Du bist fabelhaft.«

Meine Wangen nehmen die Farbe meiner Haare an, zumindest glaube ich das. Ich presse meine Hände gegen die Glut. »Ihr macht mich ganz verlegen.«

Tiffany schenkt mir einen Blick, der besagt, dass sie mich nur zu gut versteht, während Ariana ruft: »So ein Unsinn! Vor seinen Besten muss man niemals peinlich berührt sein. Ganz ehrlich: Dafür haben wir alle schon viel zu viel miteinander erlebt.«

Damit hat sie recht. Diese vier sind seit den ersten Tagen der Junior High meine besten Freundinnen. Wir haben Herzschmerz miteinander erlebt, überwältigende Erfolge, schlimmstes Leid, haben temporäre Trennungen überwunden und sind seit einem Monat wieder vereint. Seit ich zurück nach Philadelphia gekommen bin, um meine Stelle als jüngste Richterin des Familiengerichts anzutreten. Und das habe ich heute getan.

Als sie mir angeboten wurde, habe ich nicht lange nachgedacht. Zum einen, weil sie der bisherige Höhepunkt meiner Karriere ist, zum anderen aber auch, weil sie mich wieder nach Hause geführt hat. Zu ihnen. Denn mit niemandem konnte ich je so sehr ich sein wie mit ihnen.

Wir setzen uns, Jada verteilt die Shots, hebt ihr Glas. »Auf dich, Pepper. Darauf, dass du eine Badass Bitch bist«, ich lache auf, während Kimberly das Gesicht verzieht, »und den alten Knackern zeigen wirst, wie eine progressive Familienpolitik aussieht.«

Jetzt verdreht Kimberly die Augen. »Können wir nicht einen Abend verbringen, an dem ihr nicht versucht, eure liberale Agenda einzuschleusen? Wirklich, das ist das Schlimme mit euch Libs. Dass ihr immer versucht, anderen eure Meinung aufs Auge zu drücken.«

Ariana beugt sich vor. »Hast du uns gerade tatsächlich Libs genannt? Hast du zu viele Trump Townhalls angesehen, oder was?«

Sie schüttelt den Kopf. »Ihr lebt in euer Gutmensch-Bubble, aber da gibt es noch eine andere Welt. Eine reale Welt, in der nicht alle Menschen nett sind.«

Tiffany hebt die Hände. »Wenn uns die letzten Jahre eins gelehrt haben, dann, dass wir uns politisch nie werden einigen können. Also lasst uns einfach auf Peppers Erfolg anstoßen. Es ist ihr großer Moment, den sollten wir nicht mit Diskussionen verpesten.« Ich öffne den Mund. »Ja, ich weiß, dass du gern diskutierst.« Ich schließe ihn wieder, lächele sie an, greife nach ihrer Hand.

»Fein«, meint Jada, auch wenn ich an der Art, wie sie den Kiefer zusammenbeißt, erkenne, dass nichts okay ist.

Das ist der Punkt, der uns Freundinnen trennt. Kimberly als privilegierte Weiße, die nicht sieht, dass die Politik, die sie favorisiert, nur denjenigen nützt, die aussehen wie sie. Ich als nicht minder privilegierte Weiße, die allerdings bei Hippies aufgewachsen ist und daher andere Meinungen vertritt. Dann unsere beiden Freundinnen, die nicht mit diesen Privilegien aufgewachsen sind, und sich deswegen gar nicht vorstellen können, wie man so denken kann. Und Tiffany hat noch mal ein ganz anderes Elternhaus.

Ich hebe erneut mein Glas, bevor ich sage: »Auf einen schönen Abend!«

»Auf dich«, sagen sie in unterschiedlichen Lautstärken. Kimberly versucht, sich nichts anmerken zu lassen, doch es nagt an ihr, wenn sie sich missverstanden fühlt. Aber mal ehrlich: Wer Trump gewählt hat, kann nicht falsch verstanden worden sein … Ja, ja, ich weiß, wir sind heute Abend friedlich. Ich meine ja nur …

Ich führe das Glas an die Lippen, will gerade den Kopf in den Nacken legen, als mein Blick auf einen Mann fällt, der mich anstarrt. Einen Moment bin ich irritiert, bevor das Feuerwasser durch meine Kehle rinnt. Schnell beiße ich in meine Orange, um das brennende Gefühl abzumildern, kneife die Augen zusammen und öffne sie wieder.

Und da ist er immer noch.

Sein Blick ist durchdringend, geht mir durch Mark und Bein, sorgt für ein Kribbeln im Magen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das ein angenehmes ist, oder ob es mir sagen will, dass ich in Gefahr bin.

Tiffany beugt sich zu mir, flüstert mir ins Ohr: »Kennst du den? Er starrt dich ganz schön intensiv an.«

»Wer?«, fragt Ariana viel zu laut und dreht sich um.

Ich verdrehe die Augen. »Wie immer bist du subtil wie eine Kettensäge.«

Sie grinst mich an. »Du sagst das, als wäre das was Negatives.« Dann flüstert sie: »Kennst du ihn?«

»Nein, keine Ahnung.«

Jada mischt sich ein. »Er ist heiß. Du solltest dich an ihn ranschmeißen.«

»Ja, klar. Hallo? Hast du mich schon mal getroffen?«, frage ich spöttisch.

Kimberly nickt. »Wenn er ein Gentleman ist, wird er dich ansprechen. Männer sollten den ersten Schritt machen. Schließlich willst du nicht, dass er denkt, du wärst leicht zu haben.«

Ariana starrt sie entsetzt an. »Aus welchem Buch aus dem Mittelalter hast du eigentlich deine Dating-Ratschläge?«

»So habe ich Billy bekommen und wir sind immer noch sehr glücklich. Vielen Dank.«

Jada lacht auf. »Du hast Billy erobert, weil du ihm unter der Tribüne einen geblasen hast.«

Die Wangen meiner Freundin glühen, aber sie sagt: »Okay, das auch.«

Was uns alle zum Lachen bringt. 

»Du Luder«, meint Ariana fröhlich. »Ich erinnere mich noch genau, wie wir diese Mädchenzeitschrift geradezu verschlungen und dann mit Bananen geübt haben.«

Ich nicke. »Allerdings hat das Leben gezeigt, dass Männer nicht immer so viel in der Hose haben.«

»Sprich nur für dich«, meint Kimberly, bevor sie sich die Hand vor den Mund schlägt.

Das führt zu Gegröle, weswegen ich aufstehe und sage: »Also für solche Gespräche brauchen wir noch ein bisschen mehr Alkohol.«

Ich schnappe mir das Tablett und marschiere zur Bar. Vielleicht ist der eigentliche Grund, dass ich mir den Mann, der seinen Blick nicht eine Sekunde von mir wendet, genauer ansehen will. Aber das würde ich immer bestreiten …

Allerdings kann ich nicht umhin, nah an ihm vorbeizulaufen.

Er ist groß, breitschultrig und macht den Eindruck, gut gebaut zu sein, was man aber nicht sehen kann, weil sein schwarzer Pulli relativ weit ist. Es wundert mich, wenn ich mir die anderen Männer hier ansehe, die es eher darauf anlegen, dass man sehen kann, dass sie fünfmal die Woche ins Fitnessstudio eilen.

Sein Pulli dagegen hat einen Rollkragen, lange Ärmel und zeigt einfach nichts. Ich erkenne eine schwache Narbe auf seiner linken Wange, die sich bis zur Oberlippe zieht und dort im blassen Rot verschwindet. Seine Augen sind dunkel, fast stechend. Er ist nicht klassisch schön, aber mit seinen markanten Gesichtszügen gefällt er mir sehr viel besser als die Schönlinge, die sich hier ebenfalls tummeln.

Seine Haare sind kurz, aber lang genug, um beim Sex die Finger darin zu vergraben …

O Gott. Wohin wandern meine Gedanken denn da?

Nein, das geht nicht. Ich will mich auf meine Karriere konzentrieren. Da kann ich mir keine Ablenkung erlauben. Die ersten paar Monate, vielleicht die ersten zwei Jahre, sind ganz besonders kritisch für die Laufbahn einer Richterin. In dieser Zeit baut man seinen Ruf auf. Und wie sagt man? Man hat nur eine Chance für den ersten Eindruck. Wie ich mich jetzt verhalte, legt den Grundstock für das Voranschreiten meiner Karriere.

Ich trete an die Theke, mogele mich in eine Lücke, in die ich eigentlich gar nicht passe, wofür ich einen genervten Blick von einem Mann erhalte, den auch mein entschuldigendes Lächeln nicht positiv stimmen kann.

Ich seufze. Kimberly hätte er wahrscheinlich nicht so angesehen, sondern noch extra Platz gemacht. Aber das ist wohl das Schicksal von uns Pummelchen. Wir werden viel zu häufig nicht wertgeschätzt.

Als der Barkeeper in meine Richtung sieht, hebe ich die Hand, lächele hoffnungsvoll. Aber statt zu mir zu kommen, dreht er sich in die andere Richtung. Zu einer großen Blondine mit ganz eindeutigen Vorzügen. Hey, ich habe auch welche, nur sind meine unter einer weißen Bluse verborgen. Hätte ich mich doch noch umziehen sollen, statt sofort vom Gericht hierherzukommen?

Aber auch dann hätte ich wahrscheinlich nie so wenig angezogen … Hey, ich urteile nicht – tue ich wohl –, jede muss tragen, was sie mag. Allerdings wünschte ich, dass der Barkeeper nicht so auf sie fixiert wäre.

Ich seufze.

Der Mann, der mich sowieso schon doof findet, verdreht die Augen und sagt viel zu laut zu seiner Begleitung: »Wieso stehen wir hier eigentlich bei den hässlichen Weibern? Da drüben scheint mehr los zu sein.«

Es trifft mich. Hart. Aber als Richterin habe ich gelernt, mir ein dickes Fell wachsen zu lassen, denn sonst wäre ich ziemlich schnell untergegangen, bei all den riesigen Egos, die mir im Gerichtssaal begegnen. Der Unterschied ist nur, dass hier jetzt die private Pepper steht, nicht die ehrenwerte Richterin Pepper Morrigan, die mit einem Schlag ihres Hammers gestandene Männer in die Knie zwingen kann.

Nein, die private Pepper hat nicht ganz so viel Rüstung an …

Ich schlucke, winke dem Barkeeper noch einmal.

Plötzlich drängt sich jemand zwischen mich und den Mann, der mich beleidigt hat. Ich schaue in die Richtung, muss dann den Blick heben, weil dieser Jemand so viel größer ist als der andere Typ.

Dieser will erst genervt gucken, macht schon den Mund auf, und dann ist er es, der schlucken muss, als er sich der vollen Aufmerksamkeit der stechenden Augen gegenübersieht.

»Du wolltest Platz machen«, sagt der Riese mit einer tiefen, leicht rauen Stimme, die mich an Whisky und Zigarren erinnert.

»Äh …«, macht der Genervte, blickt zu seinem Kumpel.

»Das war keine Frage.«

Ganz dumm scheint der Genervte nicht zu sein, denn er nimmt die Beine in die Hand und macht sich vom Acker, seinen Kumpel im Schlepptau.

Der sexy Mann tritt einen Schritt zur Seite, und erst in diesem Moment wird mir bewusst, dass sein Körper gegen meinen gepresst war und es sich jetzt wie ein furchtbarer Verlust anfühlt, als er es nicht mehr tut.

Ich schaue zu ihm auf, während er zu mir herunterblickt. Seine dunklen Augen halten meine gefangen, für eine halbe Ewigkeit, zumindest fühlt es sich so an.

Ich räuspere mich, lecke über meine Lippen, versuche mich an einem zögernden Lächeln.

»Woher kenn ich dich?«, fragt er, schaut kurz auf meine Zunge, schluckt, bevor er wieder meinen Blick sucht.

»Kennen?«, krächze ich.

»Du kommst mir so bekannt vor.« Er sucht in meinem Gesicht, und auch mir kommt er bekannt vor. Irgendwie. Nicht bewusst, aber so, als würde ich ihn tief in mir erkennen.

»Ähm … ich glaub, wir sind uns noch nie begegnet.«

Er sieht mich skeptisch an. »Doch, ich bin mir sicher …« Und dann scheint er sich an ein Detail zu erinnern, denn sein Blick klart auf. »Du bist Pepper.«

Überrascht schaue ich ihn an. »Woher …?« Er dreht sich ein wenig, das Licht fällt anders, und Erkenntnis flackert durch mich.

Shit.

Das kann nicht sein.

»Wir haben mal …«

Ich schüttele den Kopf, drehe mich um. »Du musst mich verwechseln.«

Beinahe renne ich in Richtung Toiletten, höre noch, wie er meinen Namen ruft, aber ich will einfach nur weg. Nein, nein, nein. Das kann nicht sein. Nicht jetzt. Nicht, wenn ich alles, was ich erreichen wollte, in den Händen halte. Ein falscher Schritt und alles rinnt mir durch die Finger.

Ich stoße eine Kabine auf, setze mich auf die geschlossene Toilette und vergrabe das Gesicht in den Händen. Es ist schon so lange her! Ich war jung und dumm und viel zu wild. Dafür mache ich meine Hippie-Eltern verantwortlich, die immer viel zu locker gewesen sind. Hätten sie mich mal diszipliniert! Dann stände ich jetzt nicht kurz davor, alles zu verlieren, für das ich so hart gearbeitet habe.

Es ist ein Albtraum. Ich wünschte, ich würde aufwachen. Doch obwohl ich mich selbst kneife, bleibe ich in dieser Realität, in der ich alles verlieren könnte. Alles.

Wieso jetzt?

Gut, ich war die letzten Jahre nur selten in Philadelphia, weswegen wir uns nicht über den Weg laufen konnten, aber es kommt mir grausam vor, dass er, der meine Vergangenheit so genau kennt, ausgerechnet jetzt vor mir steht. Wie heißt er noch mal? Ich komme nicht auf den Namen, den ich wahrscheinlich wie alles andere verdrängt habe, so gut es nur ging.

Das darf nicht sein. Er könnte mir alles wegnehmen. Einfach alles.

Niemand erlaubt einer Frau, Richterin am Familiengericht zu sein, wenn sie so eine Geschichte hat. Wenn ich damals nur schon so weit gedacht hätte. Aber nein, es hörte sich wie eine absolut tolle Idee an …

Nackte Körper … Schweißtropfen, die ineinander flossen … Lippen, die rotgeküsst waren … Hände, die so gierig tasteten …

Ich schüttele den Kopf, versuche, die Erinnerungen zu verdrängen, die mir jetzt ganz sicher nicht helfen. Es ist die Ironie der Geschichte, dass ich mich nie so frei und so sehr wie ich selbst gefühlt habe wie in jenem Augenblick, der jetzt alles ruinieren könnte.

Ich werde es nicht zulassen. Diese Erkenntnis taucht in mir auf, wird fester und stärker, unumstößlich. Ich stehe am Steuer meines Lebens, so ist das nämlich. Nur ich entscheide, was mich zerstören kann. Niemand sonst.

Als mir das bewusst wird, erhebe ich mich, öffne die Tür, spritze mir ein wenig Wasser ins Gesicht, schaue mich im Spiegel an. Das ist nicht der Blick einer Frau, die sich zum Spielball machen lässt, sondern der einer Badass Bitch, die die Fäden ihres Lebens in den Händen hält.

Mit diesem Wissen trete ich auf den Gang, willens, die Geister der Vergangenheit zu verbannen, und bleibe plötzlich stehen.

Denn da steht er. Dieser Geist, der mich damals beinahe um den Verstand gebracht hat. Gut, dann ist die Konfrontation eben ein paar Sekunden früher, es ändert nichts.

Ich straffe die Schultern, richte mich zu meinen beachtlichen eins fünfundsechzig auf, trete auf ihn zu. Kopf hoch, Rücken gerade.

Sein Mundwinkel zuckt nach oben, was ihm ein sexy-amüsiertes Aussehen verleiht, das mich kurz aus dem Konzept bringt. Die Vergangenheit schiebt sich vor die Gegenwart, und für einen Moment sind wir nicht im ranzigen Flur einer Bar, nein, wir sind im Wohnzimmer eines Ferienhauses. Er steht am Fenster, dreht sich um, als er mich hört. Und sieht so sexy aus, dass ich das glücklichste Mädchen der Welt bin, weil er mich will.

Dann geht die Tür auf …

Mit großer Anstrengung hole ich mich in die Gegenwart zurück, vertreibe die Schatten, bleibe vor ihm stehen.

»Du erinnerst dich also«, sagt er leise mit dieser Whisky-und-Zigarren-Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken treibt.

»Das tut nichts zur Sache.«

»Das seh ich anders.« Sein Blick schweift über mich, sagt, dass er mich noch genauso anziehend findet wie damals, auch wenn sich mein Körper in den vierzehn Jahren verändert hat. An schlechten Tagen würde ich sagen, zum Negativen. Aber ich arbeite an meinem Bodyimage.

»Es ist vergangen und da sollte es auch bleiben, wenn du verstehst, was ich dir damit sagen will.«

Er beugt sich vor, atmet tief ein. Atmet mich ein! Ein weiterer Schauer fließt über mich, überall entsteht Gänsehaut. »Ich kann es nicht vergessen.«

Ich schließe kurz die Augen, schlucke, versuche, mich zu sammeln. »Dann … dann …« Ich breche ab, weiß gar nicht mehr, was ich sagen will.

Seine Lippen kommen mir so nah, so unglaublich nah, dass ich seinen Atem an meiner Wange spüre. »Ich will es nicht vergessen.«

Ich erzittere, als ich die Worte spüre, die wie eine Liebkosung sind. »Ich war eine andere. Das Mädchen von damals existiert nicht mehr.«

»Ich wette doch.«

Er ist mir so nah, wie es schon lange niemand mehr war – mit Ausnahme meiner Freundinnen, wenn wir uns umarmen. Sein Geruch, irgendein Aftershave und er selbst, umhüllt mich, benebelt meine Sinne.

»Ich wette, dass sie noch in dir steckt.« Langsam hebt er eine Hand, streicht eine Strähne hinter mein Ohr. Eine Berührung, die so erotisch ist, dass ich mir unwillkürlich auf die Lippe beiße.

»Pepper?«, höre ich da plötzlich meinen Namen. Das bricht den Bann, und ich trete schnell zurück.

Als ich ein bisschen Abstand zwischen uns gebracht habe, schaltet sich auch mein Gehirn wieder ein. Der Nebel verschwindet – leider! –, die intime Situation löst sich in Luft auf.

Ich straffe die Schultern. »Wie ich schon gesagt hab, sie existiert nicht mehr.«

Damit drehe ich mich um, eile auf Tiffany zu, die ein paar Schritte entfernt am Eingang zum Flur steht und mich neugierig betrachtet.

Ich meine, ein heiseres Lachen hinter mir zu hören, aber ich beachte es nicht, hake mich bei Tiff unter und ziehe sie beinahe mit mir.

»Wer war das?«, fragt sie und dreht sich zu ihm um.

»Niemand«, antworte ich und bin mir bewusst, dass ich sie gerade zum ersten Mal in meinem Leben vorsätzlich anlüge.

Na, neugierig geworden? Dann bestell das Buch hier vor.

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